Wer rastet, der rostet. Diese einfache Redewendung trifft auch in Sachen Demenzprävention zu, mittlerweile auch bestätigt durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien. Neue Erkenntnisse zeigen, dass es in der täglichen Bewegungsroutine und den daraus abgeleiteten Empfehlungen weit mehr Spielraum gibt als bisher angenommen.

Dabei überrascht es kaum, dass der Zusammenhang zwischen einem sitzenden Lebensstil und dem Risiko einer Demenzerkrankung immer weiter in den Fokus der Demenzprävention rückt. Bereits im Jahr 2020 listete die „Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention, and Care“ 12 beeinflussbare Risikofaktoren auf, die zur Entstehung von Demenz beitragen könnten, darunter auch körperliche Inaktivität [1].

Auch die aktuellen Demenzrichtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehlen, dass sich gesunde Erwachsene mit normaler geistiger Leistungsfähigkeit ebenfalls körperlich betätigen sollten, um das Risiko eines kognitiven Rückgangs zu verringern [2].

Doch was ist das richtige Maß an Bewegung? Wie sicher ist die wissenschaftliche Forschungslage in diesem Bereich und was gilt für Menschen, für die aufgrund körperlicher Einschränkungen überschaubare tägliche Aktivitäten bereits zu einer großen Herausforderung werden?

Regelmäßiges Gehen gegen Demenz: Der aktuelle Stand der Wissenschaft

Schon in der Vergangenheit haben zahlreiche Präventionsstudien die Auswirkung von unterschiedlichen sportlichen Aktivitäten, wie etwa Ausdauertraining, Krafttraining oder Dehnungsübungen auf das Demenzrisiko untersucht. Dabei konnten klare Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen der Intensität der Aktivität und der Möglichkeit, von der Krankheit verschont zu bleiben, nachgewiesen werden.

Einer aktuellen Einschätzung des medizinischen Fachjournals Lancets zufolge wären 6.000 bis 8.000 Schritte die wünschenswerte Bewegungs-Dosis, um die Gesamtmortalität zu senken. Darüber hinaus gelten 10.000 Schritte pro Tag als „optimale“ Schrittzahl, mit der eine große Zahl nicht übertragbarer chronischer Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Krebs verhindert und die Lebensqualität der Menschen verbessert werden könnte [3].

Auch raten die aktuell noch geltenden Leitlinien an, mindestens 150 bis 300 Minuten körperliche Aktivität mittlerer Intensität oder 75 bis 150 Minuten körperliche Aktivität hoher Intensität pro Woche einzuplanen [4].

10.000 Schritte pro Tag? 5 Stunden Sport pro Woche? Das ist leider nicht immer umsetzbar. Doch medizinische Leitlinien sind generell eher starr und es dauert eine ganze Weile, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse Einzug in die Empfehlungen finden. Kompetenz statt Demenz hat es sich deshalb auch bei diesem Thema zur Aufgabe gemacht, die neuesten Studienergebnisse zu sichten, aus denen sich schon jetzt risiko- und nebenwirkungsfrei erweiterte Ratschläge zur Demenzprävention mit Hilfe von Bewegung ableiten lassen.

Kann auch körperliche Aktivität von sehr geringer Intensität zur Demenzprävention beitragen?

Gerade betagte Menschen, aber auch Betroffene anderer Krankheiten, durch welche die Bewegungsfähigkeit einschränkt wird, geraten in ein Dilemma, wenn sie möglichst effizient der Demenz vorbeugen wollen. Schließlich müssen die persönlichen Umstände ein recht anspruchsvolles Bewegungsprogramm überhaupt erst erlauben. Gerade deshalb ist es von besonderem Interesse zu ergründen, welche Rolle sehr geringe körperliche Aktivität bei der Demenzprävention spielt.

Eine koreanische Studie aus dem Jahre 2021 hat genau dies untersucht und mit mehr als 60.000 Teilnehmern, die während eines Zeitraumes von 12 Jahren beobachtet wurden, eine Antwort auf diese Frage gefunden:  66,4 % der Studienteilnehmer waren körperlich wenig belastbar. Dennoch war in dieser Gruppe die Ausübung sehr leichter körperlicher Aktivitäten mit einem leichten, aber statistisch signifikanten geringeren Demenzrisiko verbunden, im Vergleich zu ausschließlich sitzenden Teilnehmern [5].

Mehr noch: Die Studie zeigte eine klare, fast lineare Korrelation zwischen Bewegungsintensität und Risikoreduktion der Demenzerkrankung. Dabei wurde das metabolische Äquivalent MET verwendet, um die verschiedenen körperlichen Aktivitäten in ihrer Intensität abzuschätzen. Die Abkürzung MET kommt aus dem Englischen und steht für Metabolic Equivalent of Task. Die Personengruppe mit der höchsten körperlichen Aktivität (mit mehr als 1.000 MET-Minuten pro Woche) zeigte eine 28%ige, die moderat aktive Gruppe (mit 500-999 MET-Minuten pro Woche) eine 20%ige, die leicht aktive Gruppe (mit 300-499 MET-Minuten pro Woche) eine 14%ige und die am wenigsten aktive Gruppe (mit 1-299 MET-Minuten pro Woche) eine 10%ige Reduktion des Erkrankungsrisikos im Vergleich zu nicht aktiven Teilnehmern [5].

Das zeigt eindrücklich, dass JEDE körperliche Aktivität, auch wenn sie mit geringerer Intensität ausgeübt wird, also wirksam zur Verringerung des Bewegungsmangels beitragen und somit das Risiko einer Demenzerkrankung reduzieren kann.

Schritte zählen kann zur Demenzprävention beitragen – wie lange und wie schnell sollten wir täglich gehen?

Auch eine neuere Studie, die im September 2022 in der Fachzeitschrift JAMA Neurology veröffentlicht wurde [6], befasst sich mit diesem wichtigen Thema. Es zeigt sich sehr deutlich, dass nicht nur die Anzahl der Schritte pro Tag, sondern auch die Schrittfrequenz, also die Anzahl der Schritte pro Minute, in direktem Zusammenhang mit einem geringeren Demenzrisiko steht.

Die Studie untersuchte mehr als 78.000 Personen im Alter zwischen 40 und 79 Jahren, die 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche einen Schrittzähler am Handgelenk trugen.

Anschließend verglichen die Forscher die Daten des Schrittzählers mit einer sieben Jahre später möglicherweise gestellten Diagnose einer Demenzerkrankung. Bei der Auswertung wurden Alter, ethnische Zugehörigkeit, Bildung, Geschlecht und sozioökonomischer Status berücksichtigt, aber auch zahlreiche Lebensstilvariablen wie Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum, Medikamenteneinnahme, Schlafprobleme und weitere Faktoren.

Die Ergebnisse zeigten, dass ein minimaler Bewegungsaufwand von täglich etwa 3.800 Schritten das Risiko, an Demenz zu erkranken, um 25 % senken würde.

Die optimale Schrittzahl liegt der Studie zufolge bei 9.800 Schritten pro Tag und würde das Demenzrisiko um 50 % senken, was dem oft kommunizierten Ziel von 10.000 Schritten pro Tag sehr nahekommt.

Auch hier ist erkennbar, dass selbst bei geringeren Schrittzahlen ein gewisser Schutz vor Demenz zu erwarten wäre. So könnte die Demenzprävention in der Bevölkerung durch eine Steigerung der täglichen Aktivität verbessert werden, wobei das Zählen der Schritte mit einem Schrittzähler eine einfache und wirksame Methode ist, um die richtige „Bewegungsdosis“ zu erreichen.

10.000 Schritte am Tag sind nicht umsetzbar? Das können Sie stattdessen tun

In der oben beschriebenen Studie [6] wurde ebenfalls die Laufleistung der Teilnehmer analysiert. Bei jenen, die sich 30 Minuten am Tag bewegten, zeigte sich, dass eine Schrittfrequenz von etwa 112 Schritten pro Minute das Risiko, an Demenz zu erkranken, um 62 % senken konnte.

112 Schritte pro Minute ist also die Zahl, auf die all diejenigen achten sollten, für die 10.000 Schritte am Tag nicht umsetzbar sind, und die dennoch ihr Gehirn möglichst fit halten wollen. Insgesamt sollten dabei möglichst 30 Minuten Gehen in den Tag integriert werden, jedoch müssen diese keinesfalls an einem Stück absolviert werden. Wie Sie Ihre Einheiten aufteilen, ist Ihnen überlassen. Somit stellt die Studie einen weiteren wichtigen Beitrag zu Empfehlungen für die Demenzprävention dar. Das Zählen von Schritten ist außerdem eine einfache Möglichkeit der Leistungskontrolle, die heute mit vielen tragbaren Geräten, darunter Smartwatches und sogar Mobiltelefonen möglich ist.

Bei all dem sollte aber natürlich nicht vergessen werden, dass auch 112 Schritte pro Minute nur von Menschen ohne signifikante Gehbehinderung erreicht werden können. Deshalb ist es empfehlenswert, bei solch schweren Einschränkungen nach Alternativen Ausschau zu halten. Dies können etwa Bewegungsformen wie Fahrradfahren (auch auf dem sicheren Heimtrainer) oder auch Rudern und Ballspiel sein. Letztlich schützt jede Bewegung im signifikanten Maße vor Demenz und sollte, soweit es möglich ist, Teil der Tagesroutine sein. Wie gezeigt werden konnte, bewirkt auch geringer Einsatz eine messbare Verringerung des Demenzrisikos.

Warum ist gerade das Gehen so wichtig für unsere (geistige) Gesundheit?

Genetisch sind wir auf das Gehen „programmiert“ worden. Unsere Vorfahren, die als Jäger und Sammler lebten, legten auf der Suche nach Nahrung weite Strecken zu Fuß zurück. Die aufrechte Haltung und das zweibeinige Gehen waren wichtige evolutionäre Meilensteine, die diese Fortbewegung ermöglichten. So gesehen ist das Gehen Teil der menschlichen Natur. Es ist auch kein Geheimnis mehr, dass Gehen ein natürliches und wirksames Mittel ist, um die NEAT (nicht-trainingsbedingte Thermogenese/Wärmeerzeugung) zu erhöhen und dadurch den Kalorienverbrauch zu steigern, was sich sehr positiv auf die Gesundheit und die Langlebigkeit auswirkt.

Die Ergebnisse der Studien verdeutlichen umso mehr, wie weit der „moderne“ Lebensstil von unserer biologischen Natur entfernt ist und dass wir uns längst nicht mehr „artgerecht“ verhalten. Mit anderen Worten: Die Rückkehr zur Natur und zur natürlichen und angemessenen Lebensweise der menschlichen Spezies – zu der auch das tägliche Zurücklegen langer Strecken gehört – ist in der Tat das größte Geheimnis zur Vorbeugung aller „modernen“ Krankheiten, nicht nur der Demenz!

Fazit

Eine sitzende Lebensweise (oder besser eine unbewegliche Lebensweise) ist eindeutig ein Risikofaktor für Demenz. Bewegung wird deshalb als Präventivmaßnahme dringend empfohlen. Neue Studien haben gezeigt, dass selbst leichte körperliche Aktivität eine Rolle bei der Verringerung des Demenzrisikos spielen kann. Daher profitieren auch ältere Personen, die aufgrund ihrer Gebrechlichkeit und ihrer Begleiterkrankungen keine intensiven körperlichen Aktivitäten ausführen können, von angepassten körperlichen Übungen oder auch von langsamen Spaziergängen. Auf diese Weise kann das Demenzrisiko bereits leicht gesenkt.Das Zählen von Schritten ist eine einfache Methode, um ein gutes und effizientes Maß an körperlicher Aktivität zu gewährleisten und dadurch einer kognitiven Verschlechterung vorzubeugen. 9800 Schritte pro Tag bei beliebiger Geschwindigkeit oder 30 Minuten bei einer Schrittfrequenz von 112 Schritten pro Minute können das Demenzrisiko um mehr als 50 % senken. Mit einem Schrittzähler (der in den meisten Smartwatches oder sogar Handy-Apps enthalten ist) kann man diese Daten leicht überwachen. Wem das Gehen aus anderen Gründen nicht möglich ist, stehen andere Bewegungsformen zur Verfügung. Nur zu viel rasten sollten Sie nicht!


Referenzen:

  1. Livingston G, Huntley J, Sommerlad A, Ames D, Ballard C, Banerjee S, Brayne C, Burns A, Cohen-Mansfield J, Cooper C, Costafreda SG, Dias A, Fox N, Gitlin LN, Howard R, Kales HC, Kivimäki M, Larson EB, Ogunniyi A, Orgeta V, Ritchie K, Rockwood K, Sampson EL, Samus Q, Schneider LS, Selbæk G, Teri L, Mukadam N. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet. 2020 Aug 8;396(10248):413-446. doi: 10.1016/S0140-6736(20)30367-6. Epub 2020 Jul 30. PMID: 32738937; PMCID: PMC7392084.
  2. World health Organization, Risk reduction of cognitive decline and dementia 2019 https://www.who.int/publications/i/item/risk-reduction-of-cognitive-decline-and-dementia
  3. Paluch AE, Bajpai S, Bassett DR, et al; Steps for Health Collaborative. Daily steps and all-cause mortality: a meta-analysis of 15 international cohorts. Lancet Public Health. 2022;7(3):e2
  4. World Health Organization. WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour. https://www.who.int/publications/i/item/9789240015128
  5. M Yoon, PS Yang, MN Jin, HT Yu, et al.Association of physical activity level with risk of dementia in a nationwide cohort in Korea JAMA Netw Open. 2021 Dec; 4(12): e2138526.
  6. Del Pozo Cruz B, Ahmadi M, Naismith SL, Stamatakis E. Association of Daily Step Count and Intensity With Incident Dementia in 78 430 Adults Living in the UK. JAMA Neurol. 2022 Oct 1;79(10):1059-1063. doi: 10.1001/jamaneurol.2022.2672. Erratum in: JAMA Neurol. 2022 Sep 9;: PMID: 36066874; PMCID: PMC9449869.