Einleitung

Hericium erinaceus, ein außergewöhnlicher Speisepilz, rückt zunehmend in den Fokus der Alzheimer-Forschung. Seine reiche Palette an bioaktiven Substanzen verleiht ihm den Status eines „Medical Mushroom“ (MM) und macht ihn zu einem faszinierenden Forschungsobjekt.  

Seit Jahrhunderten hat der Pilz seinen Platz in der traditionellen chinesischen Medizin, wo er vor allem zur Behandlung von Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt wird. Sein neuroprotektives Potenzial zeigt sich zunehmend, wie beispielweise in Japan, wo er vor allem bei neurologischen Störungen des Zentralnervensystems eingesetzt wird. In Europa wird er hauptsächlich als Speisepilz verzehrt, ist aber auch als rezeptfreies Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. 

Junge Pilze sind weiß, werden mit zunehmendem Alter cremefarben und sind im fortgeschrittenen Alter gelbbraun bis braun. Wegen seines einzigartigen Aussehens mit zahlreichen langen „Stacheln“ ist er auch unter dem Namen Löwenmähne, Affenkopf, Igelstachelbart, Pom-Pom oder Yamabushitake bekannt. Der Pilz ist hauptsächlich in Asien, Nordamerika und Europa beheimatet. In Europa ist er in Laubwäldern Polens, Ungarns, Tschechiens, der Niederlande, der Slowakei, Rumäniens, Bulgariens, Portugals, Italiens, Schwedens, Dänemarks und Spaniens zu finden. Er wächst typischerweise in Astlöchern oder Wundstellen von Laubbäumen wie Eiche, Walnuss oder Buche. 

Der Pilz enthält zahlreiche primäre Pflanzenstoffe wie Aminosäuren, Nukleotide und organische Säuren sowie eine Vielzahl sekundärer Pflanzenstoffe wie Flavonoide, Phenolsäuren, Phenylpropanoide, Steroide, Terpenoide und ungesättigte Fettsäuren.  

Für die neuroprotektive Wirkung des Pilzes sind vor allem zwei sekundäre Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Terpenoide (Cyathan-Diterpen) verantwortlich: Hericenone und Erinacine. Hericenone werden hauptsächlich aus dem Myzel gewonnen, während die Erinacine sowohl aus dem Fruchtkörper als auch aus dem Myzel stammen. Die für die Alzheimer-Forschung wichtigsten Untergruppen sind Hericenone A, Hericenone D und Hericenone S sowie Erinacine A, Erinacine S und Erinacine E, wobei die Buchstaben die verschiedenen chemischen Strukturvarianten der Untergruppen kennzeichnen [1].

Was bewirkt der Pilz im Alzheimergehirn?  

Hericium erinaceus kann eine schützende Wirkung für das Nervensystem haben, indem es verschiedene Funktionen ausübt, wie die Hemmung von Alzheimer-spezifischen Ablagerungen, die Bekämpfung von oxidativem Stress, die Reduzierung von Entzündungen im Gehirn, die Förderung des Wachstums von Nervenzellen sowie die Regulation der Signalübertragung zwischen Nervenzellen. 

Foto 2

Foto 2

Anti-Amyloide Funktionen

  1. Die Ablagerungen von -Amyloid-beta (Aß)-Proteinen und das dadurch ausgelöste Absterben der Neuronen (Nervenzellen) gilt als zentraler Mechanismus der Entstehung  der Alzheimer-Krankheit.
  2. Aß-Ablagerung entstehen, wenn bestimmte Aß-Proteine aus dem Amyloid-Precursor-Protein(APP) fehlerhaft ausgeschnitten werden und sich anschließend falsch falten, wodurch sich vermehrt Aß-Plaques bilden. Diese Ablagerungen lösen wiederum neuronale Störungen und Entzündungsreaktionen aus, die zum neuronalen Zellsterben und zum Schrumpfen des Hirnvolumens und so zum Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit führen.  

In Mäusen und Ratten konnte gezeigt werden, dass Hericium erinanceus kann die Ablagerungen von Aß reduzieren, indem es die Expression eines Enzyms namens Insulin-degrading enzyme (IDE) erhöht, das Amyloidß (Aß) abbaut. Es reduziert auch Enzyme, die die Aß-Ablagerung unterstützen [5].  

 Antioxidative Funktionen 

Ein weiterer gut erforschter Grund für die Entstehung der Alzheimer-Erkrankung ist die erhöhte Bildung von freien Sauerstoffradikalen (ROS), die auch bei gesunden Menschen während des Energiestoffwechsels in physiologischem Maß entstehen. Bei Alzheimer-Patienten kann jedoch die ROS-Bildung zu hoch sein, was zu oxidativem Stress führt ,einem Ungleichgewicht zwischen ROS und antioxidativen Kräften im Körper. ROS können Nervenzellen schädigen und ihr vorzeitiges Absterben fördern, was zur Entstehung von Alzheimer beitragen kann.  

Tier- und Molekularstudien haben gezeigt, dass Hericum erinaceus antioxidative Eigenschaften besitzt, indem es antioxidantive Enzyme wie die Glutathionperoxidase, Katalase und Superoxiddismutase  hochreguliert. Die Glutathionperoxidase spielt eine entscheidende Rolle bei der Regeneration von Glutathion, dem wichtigsten Antioxidans im Gehirn, das in seiner chemisch reduzierten Form vorliegen muss, um ROS abzufangen. Wenn reduziertes Glutathion ROS im Gehirn neutralisiert, kann dies dazu beitragen, die Aß-Plaquebildung zu verringern und die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten zu verbessern. 

Darüber hinaus kann der Pilz den sogenannten Nrf2 regulieren. Nrf2 ist ein Protein, das bestimmte Gene regulieren kann und Proteine im Körper codiert, die als endogene Stressantwortproteine, Ausscheidungsenzyme oder antioxidative Enzyme wirken. Tierstudien haben gezeigt, dass ein Extrakt aus Hericum erinaceus die Bildung von TBARS (eine Reihe von Moekülen, die Endprodukte und damit Marker für Lipidperoxidation sind) reduziert, was z.B. auf eine verringerte Membranperoxidation hinweist. Bei Alzheimer-Patienten sind Lipidperoxidation und die Endprodukte davon, TBARS, in der Regel erhöht, was auf einen gesteigerten oxidativen Stress im Gehirn hinweist [5]. 

Antineuroinflammatorische Funktionen 

Weiters sind bei Alzheimer-Patienten erhöhte Level von Entzündungsmarkern wie IL-1ß, TNF-a und IL-6 festzustellen, was mit einer gesteigerten Neuroinflammation (Entzündung im Gehirn) einhergeht. Diese Entzündungsreaktion kann Nervenzellen schädigen, die Bildung von Aß-Plaques begünstigen und zu einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten führen.  

Hericum erinaceus zeigt in Tier- und Molekularstudien entzündungshemmende Eigenschaften, indem es die Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms reduziert. Das NLRP3-Inflammasom ist eine Bezeichnung für  zelluläre Multiproteinkomplexe des angeborenen Immunsystems, die verantwortlich für die Aktivierung von Entzündungsreaktionen sind. Sie erkennen  bestimmte Reize und lösen Entzündungen ausdurch die Bildung von Entzündungsmarkern wie IL-1ß, IL-6 und TNF-a [5].

Neurotrophische Funktionen 

Neurotrophe Faktoren wie der Nervenwachstumsfaktor (NGF) sind Proteine, die die Differenzierung von Nervenzellen stimulieren und Prozesse initiieren, die für die Entstehung, Erhaltung, Funktion und Regeneration von Nervenzellen wichtig sind und somit ihr Überleben gewährleisten. 

Extrakte aus Hericum erinaceus können die Freisetzung von NGF fördern. Erhöhte NGF-Spiegel stehen in Verbindung mit der Neubildung von Neuronen, neuronaler Plastizität im Hippocampus (Gehirnregion, die für Lernen und Gedächtnis verantwortlich ist), in der Hypophyse und im Kortex. NGF aktiviert zudem Signalwege, die zur Proliferation und Erhaltung von Nervenzellen sowie zur Entwicklung von Gedächtnisfähigkeiten in neuronalen Vorläuferzellen beitragen. 

Des Weiteren kann NGF eine Umgestaltung der Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen) bewirken, wodurch die Kapazität der zellulären Energie erhöht wird. Dies ist bedeutend, da die Energie in den Mitochondrien produziert wird, auf die Nervenzellen besonders angewiesen sind. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson werden oft Schäden an den Mitochondrien festgestellt, die wiederum die Funktionsfähigkeit der Nervenzellen beeinträchtigen und somit zu diesen Erkrankungen beitragen [5]. 

Neurotransmissionelle Funktionen 

Neurotransmitter wie Acetylcholin (ACh) sind Botenstoffe, die Signale zwischen Nervenzellen übertragen. ACh wird aus Cholin und Acetyl-CoA, einem Endprodukt der Glykolyse (erste Phase der Energiegewinnung aus Zucker), gebildet. Bei Alzheimer-Patienten wurde ein Mangel an Acetylcholin beobachtet, der durch Störungen im Zuckerstoffwechsel verursacht sein kann. Zudem baut das Enzym Acetylcholinesterase bei Alzheimer-Patienten Acetylcholin übermäßig schnell ab. 

Tierstudien haben gezeigt, dass eine Supplementierung mit Hericum erinaceus diese sogenannte cholinerge Funktion verbessern kann, indem sie die ACh- und Cholinacetyltransferase-Spiegel in Mäusen erhöht. Darüber hinaus kann Hericum erinaceus die Freisetzung des Neurotransmitters Glutamat im Hippocampus stimulieren. Glutamat ist der häufigste erregende Neurotransmitter bei Säugetieren, und Veränderungen im Glutamatstoffwechsel werden mit der Entstehung und Entwicklung von Alzheimer in Verbindung gebracht [5].

Klinische Studien – Fakten für Alzheimerpatienten  

Bild 3

Die genauen Wirkungsmechanismen von Hericum erinaceus sind ausschließlich durch tierexperimentelle und molekulare Studien bekannt. Es gibt jedoch auch klinische Studien, die die neuroprotektive Wirkung des Pilzes bei Alzheimer-Patienten belegen. 

Studie 1 – Li et al., 2020

In der jüngsten Studie von Li et al. aus dem Jahr 2020 wurde die Wirkung von Hercium erinaceus bei 41 Frauen und Männern mit mildem Alzheimer untersucht. Die Studie umfasste eine 3-wöchige Screening-Phase, gefolgt von einer 49-wöchigen doppelblinden Behandlungsphase mit zwei parallelen Gruppen. Die Interventionsgruppe erhielt über einen Zeitraum von 49 Wochen täglich drei Kapseln einer Hericium erinaceus-Formulierung zu je 350 mg, die 5 mg/g Erinacin A pro Tag enthielt, während die Kontrollgruppe ein identisches Placebo mit der Nahrung einnahm.

Während des Interventionszeitraums wurden kognitive Tests (MMSE, IADL, NPI, CASI) nach 13, 25 und 49 Wochen durchgeführt, um Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten festzustellen. Nach 25 Wochen zeigte die Placebogruppe im Vergleich zur Interventionsgruppe eine Verschlechterung im CASI-Test. Nach 49 Wochen zeigte die Interventionsgruppe eine Verbesserung im MMSE-Test. Diese Ergebnisse deuten auf verbesserte oder besser erhaltene kognitive Fähigkeiten in der Interventionsgruppe hin. Darüber hinaus zeigte die Interventionsgruppe nach 49 Wochen höhere Werte im IADL-Test, was auf eine verbesserte Selbständigkeit im Alltag und eine geringere Pflegebedürftigkeit hinweist. Darüber hinaus verbesserten sich in der Interventionsgruppe auch Blutmarker wie Kalzium, Albumin, Hämoglobin, Homocystein, Superoxid-Dismutase, BDNF, APOE4 und α-ACT. Diese Veränderungen weisen auf eine positive Veränderung im Gehirn hin, die möglicherweise eine Verlangsamung des kognitiven Verfalls bedeuten [2]. 

Studie 2 – Saitsu et al., 2019

Eine Studie von Saitsu et al. aus dem Jahr 2019 kam zu ähnlichen Ergebnissen. Dabei wurden 31 gesunde Probanden (> 50 Jahre) in zwei Gruppen eingeteilt. Die Interventionsgruppe konsumierte 12 Wochen lang täglich 4 Hericium erinaceus Supplemente mit jeweils 0,8 g Hericium erinaceus. Die kognitiven Veränderungen wurden mit dem Minimal Mental Status Test (MMSE), dem Benton Visual Tentetion Test und dem Standard verbal paired-axxociate learning Test (S-Pa) untersucht.

Im Vergleich zur Placebogruppe zeigte die Interventionsgruppe verbesserte MMSE-Werte. Dies deutet auf eine verbesserte kognitive Behaltensleistung in der Interventionsgruppe hin. Bei den beiden anderen Tests konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden [4]. 

Studie 3 – Mori et al., 2009

In einer etwas älteren Studie von Mori et al.  aus dem Jahr 2009 wurden 31 japanische Frauen und Männer (50-80 Jahre) mit milder kognitiver Beeinträchtigung in zwei Gruppen eingeteilt. Die Interventionsgruppe erhielt 16 Wochen lang täglich vier Tabletten zu je 250 mg mit jeweils 96 % Hericium erinaceus, die Placebogruppe ein optisch ähnliches Placebopräparat. Die Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten wurden mit einem Kognitionstest namens Revies Hasegawa Dementia Scale (HDS-R) untersucht, einem verbalen und graphischen Test, der räumlich-visuelle und konstruktive Funktionen misst. 

Die Interventionsgruppe verbesserte ihre Werte nach 8, 12 und 16 Wochen im Vergleich zur Placebogruppe. Diese Verbesserungen gingen jedoch 4 Wochen nach der Intervention wieder zurück, was auf die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Einnahme hinweist. Es ist anzumerken, dass auch die Werte der Placebogruppe in Woche 8 und 16 im Vergleich zum Studienbeginn signifikante Verbesserungen aufwiesen. Mögliche Ursachen hierfür könnten der Placeboeffekt oder eine Gewöhnung der Probanden an den kognitiven Funktionstest sein [3].

Was ist wichtig bei der Einnahme von Hericium erinaceus? 

In den Studien wurden Dosierungen von 1 bis 3,2 Gramm über einen Zeitraum von 12-49 Wochen eingenommen, wobei eine kontinuierliche Einnahme für langanhaltende Effekte empfohlen wird. Es ist wichtig, auf die Qualität des Produkts zu achten, wie zum Beispiel Bio-Qualität und Handverarbeitung, sowie auf seriöse Hersteller und Verkäufer. Auch die Kombination mit anderen Therapien sollte in Betracht gezogen werden. 

Mögliche Nebenwirkungen können vor allem Magen-Darm-Beschwerden und Verdauungsprobleme umfassen.  

Für eine individuelle Beratung und Behandlungsempfehlungen ist es ratsam, einen Arzt oder Heilpraktiker aufzusuchen.

Fazit

Der Speisepilz Hericium erinaceus ist reich an bioaktiven Substanzen. In tierexperimentellen und molekularen Studien wurden zahlreiche neuroprotektive Funktionen nachgewiesen, die auch in klinischen Studien bei Alzheimer-Patienten zu positiven und signifikanten Ergebnissen führten. Als Nahrungsergänzungsmittel ist es im Allgemeinen gut verträglich, allerdings können Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden und Verdauungsstörungen auftreten. 

Wie die meisten Therapeutika gegen die Alzheimer-Krankheit kann auch dieser Pilz die Krankheit nicht vollständig heilen. Er kann jedoch eine schützende Wirkung haben und dazu beitragen, die Symptome der Alzheimer-Krankheit zu lindern. 

Um mehr über mögliche Behandlungsmethoden oder die genauen Mechanismen der Demenzerkrankung zu erfahren, klicken Sie hier.  

Referenzen 

  1. Brandalise, F., Roda, E., Ratto, D., Goppa, L., Gargano, M. L., Cirlincione, F., Priori, E. C., Venuti, M. T., Pastorelli, E., Savino, E., & Rossi, P. (2023). Hericium erinaceus in Neurodegenerative Diseases: From Bench to Bedside and Beyond, How Far from the Shoreline? Journal of Fungi, 9(5), Article 5. https://doi.org/10.3390/jof9050551 
  2. Li, I.-C., Chang, H.-H., Lin, C.-H., Chen, W.-P., Lu, T.-H., Lee, L.-Y., Chen, Y.-W., Chen, Y.-P., Chen, C.-C., & Lin, D. P.-C. (2020). Prevention of Early Alzheimer’s Disease by Erinacine A-Enriched Hericium erinaceus Mycelia Pilot Double-Blind Placebo-Controlled Study. Frontiers in Aging Neuroscience, 12. https://doi.org/10.3389/fnagi.2020.00155 
  3. Mori, K., Inatomi, S., Ouchi, K., Azumi, Y., & Tuchida, T. (2009). Improving effects of the mushroom Yamabushitake (Hericium erinaceus) on mild cognitive impairment: A double-blind placebo-controlled clinical trial. Phytotherapy Research, 23(3), 367–372. https://doi.org/10.1002/ptr.2634 
  4. Saitsu, Y., Nishide, A., Kikushima, K., Shimizu, K., & Ohnuki, K. (2019). Improvement of cognitive functions by oral intake of Hericium erinaceus. Biomedical Research, 40(4), 125–131. https://doi.org/10.2220/biomedres.40.125 
  5. Yanshree, Yu, W. S., Fung, M. L., Lee, C. W., Lim, L. W., & Wong, K. H. (2022). The Monkey Head Mushroom and Memory Enhancement in Alzheimer’s Disease. Cells, 11(15), Article 15. https://doi.org/10.3390/cells11152284 

 

Bild 1 von https://de.wikipedia.org/wiki/Igel-Stachelbart 

Bild 2 von Gerd Altmann auf Pixabay 

Bild 3 von  Patrick Tomasso auf Unsplash