Vitamin E ist ein starkes Antioxidans, das freie Radikale abfängt und in der Vergangenheit als mögliche Behandlungsoption für Alzheimer-Patienten Aufmerksamkeit erregt hat.

Der Begriff „Vitamin E“ umfasst eine Gruppe von acht fettlöslichen Verbindungen, die von Natur aus in Lebensmitteln wie Pflanzenölen, Getreide, grünem Gemüse, Nüssen und Samen vorkommen. Die Gruppe setzt sich aus vier Tocopherolen und vier Tocotrienolen zusammen, von denen jedes eine alpha-, beta-, gamma- und omega-Isoform aufweist. Alle acht Verbindungen kommen in Nahrungsmitteln vor und sind in diesen unterschiedlich verteilt. Hierbei ist alpha-Tocopherol die wichtigste Isoform, die üblicherweise auch in Vitamin E-Produkten enthalten ist.

Die antioxidative Wirkung der Vitamin E-Formen basiert auf der chemischen Struktur. Sie besitzen eine chemisch funktionelle Gruppe (Hydroxylgruppe) in ihrer Ringstruktur (Chromanolring), welche ein Wasserstoffatom abgeben und auf diese Weise eine Vielzahl von aggressiven freien Radikalen, einschließlich reaktiver Sauerstoffverbindungen, neutralisieren kann. Dieser Effekt ist bei den verschiedenen Vitamin E-Verbindungen unterschiedlich stark ausgeprägt: die Tocotrienole weisen ein deutlich höhere antioxidative Kapazitäten als alpha-Tocopherol auf, sie werden allerdings ineffizienter im Organismus aufgenommen[1].

Neben seiner großen antioxidativen Fähigkeit werden Vitamin E weitere neuronen-schützende Eigenschaften wie Entzündungshemmung, Regulierung des Immunsystems, Senkung des Cholesterinspiegels und Einfluss auf die Genexpression zugeschrieben.

Die antioxidative Wirkung wurde in mehreren Studien sowohl in vitro als auch in vivo nachgewiesen. Einer der wichtigsten Nachweise wurde 1997 von Ham und Liebler erbracht, die Ratten eine zusätzliche Vitamin-E-Diät verabreichten. Sie beobachteten eine Verringerung der Lipidperoxidation (Oxidation der Fettsäuren in den Zellmembranen) mit Vitamin E behandelten Ratten[2]. Die Verabreichung von Vitamin E in Alzheimer-Tiermodellen hat ebenfalls gezeigt, dass das Fortschreiten der Symptome und die Bildung von Beta-Amyloid, ein Protein der Alzheimer-spezifischen Plaques, verringert wird[3].

Wie aber sieht es mit der Verwendung von Vitamin E beim Menschen aus? Ist Vitamin E in der Lage, den kognitiven Abbau beim Menschen zu verhindern oder zu verringern?

1997 wurde in der Leitlinie der American Psychiatric Association zur Behandlung von Demenzerkrankungen [4] empfohlen, Vitamin E zur Verlangsamung des kognitiven Verfalls in Betracht zu ziehen. In der aktualisierten Leitlinie aus dem Jahr 2007 wurde diese Empfehlung allerdings wieder zurückgezogen, da es zu wenige Belege gibt und auch Sicherheitsbedenken bestehen. Die Vorbehalte hinsichtlich der Sicherheit rührten in erster Linie von einer Metaanalyse her, die 2005 in der Fachzeitschrift Annals of Internal Medicine [5] veröffentlicht wurde und aus der hervorging, dass die Einnahme von Vitamin-E-Präparaten mit einer höheren Gesamtmortalität verbunden war. Diese Meta-Analyse war nicht auf die Alzheimer-Krankheit ausgerichtet: Die meisten Studien untersuchten Patienten mit chronischen Krankheiten und berücksichtigten weder kognitive Defizite noch andere Demenzsymptome. Dennoch erregte die Studie in den medizinischen Fachkreisen großes Aufsehen und brachte die Verwendung von Vitamin-E-Nahrungsergänzungsmitteln in Verruf.

Seitdem wurden mehrere Studien sowohl bei Alzheimer-Patienten als auch bei Patienten mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen durchgeführt, doch die Ergebnisse reichten nicht aus, um die Einnahme von Vitamin-E-Präparaten wieder zu empfehlen[6].

Im Jahr 2014 wurde in einer klinischen Studie mit Patienten mit leichter oder mittelschwerer Alzheimer-Krankheit die Einnahme von Memantin (einem herkömmlichen Medikament zur Behandlung von Alzheimer), Vitamin E in Form von reinem alpha-Tocopherol (2.000 I.E./d), Verabreichung von beidem mit Placebo verglichen [7]. Im Vergleich zu Placebo wurde diese Vitamin-E-Form mit einem langsameren Funktionsrückgang und einer geringeren Belastung der Pflegekräfte über einen Zeitraum von durchschnittlich 2,27 Jahren in Verbindung gebracht. Bei der Kombination aus Vitamin E und Memantin konnte dieser Effekt nicht erzielt werden. Bei der Gesamtmortalität gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Mit diesen in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlichten Daten wurde Vitamin E „freigesprochen“ und wieder in die Liste der therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung und Prävention der Alzheimer-Krankheit aufgenommen. Obwohl neue Studien zum Nachweis seiner Wirksamkeit noch ausstehen, hat seine Verwendung keine größeren Nebenwirkungen oder eine erhöhte Sterblichkeit gezeigt und somit waren die zuvor entstandenen Bedenken wieder verschwunden.

Ein entscheidendes Kriterium ist, dass die oben zitierten Studien wie auch viele andere, die die Rolle von Vitamin E bei der Alzheimer-Krankheit untersucht haben, Nahrungsergänzungsmittel verwendet haben, die ausschließlich alpha-Tocopherol enthalten. Diese Tatsache wird im jüngsten Cochrane-Review von 2017 [8] gut hervorgehoben, wo die Autoren zu dem Schluss kommen: „Wir haben keine Belege dafür gefunden, dass die alpha-Tocopherol-Form von Vitamin E, die Menschen mit MCI verabreicht wird, das Fortschreiten der Demenz verhindert oder die kognitive Funktion bei Menschen mit Alzheimer verbessert“. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Erhöhung der Vitamin-E-Zufuhr über die Ernährung oder die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, die andere Formen von Vitamin E (Tocopherole und Tocotrienole) enthalten, keine derartigen Wirkungen haben können, Studien mit dieser speziellen Art von Nahrungsergänzungsmitteln wurden bisher nicht durchgeführt.

Die Begründerin der Mind-Diät, Dr. Martha Clare Morris, hat ebenfalls betont, dass die Verwendung von Vitamin-E-reichen Lebensmitteln die kognitiven Leistungen von Demenzpatienten verbessert und ihr Verzehr gefördert werden sollte. In ihren Studien stellte sie fest, dass sich der kognitive Abbau bei Menschen über 65 Jahren umso langsamer vollzieht, je höher der Anteil an Vitamin E in der Nahrung ist.

Demzufolge könnte ein Grund für die widersprüchlichen Ergebnisse in verschiedenen Studien sein, dass nur alpha-Tocopherol, also nur eine der vielen natürlich vorkommenden Vitamin-E-Verbindungen, in den meisten Studien in Form von Nahrungsergänzungsmittel verwendet worden ist.

Unsere Empfehlung:

Wenn Sie alle Vorteile von Vitamin E bei der Vorbeugung von Neurodegeneration und der Verzögerung von kognitiven Defiziten nutzen möchten, sollten Sie den Verzehr von Lebensmitteln erhöhen, die reich an natürlichem Vitamin E sind, also ein Gemisch aus Tocopherolen und Tocotrienolen enthalten. Dies sind z. B. dunkelgrünes Gemüse, Avocados, Sonnenblumen- und Sesamsamen, rotes unraffiniertes Palmöl, Mandeln, Kürbis, Erdnüsse und Erdnusspaste sowie Weizenkeime. Wenn Sie ein Nahrungsergänzungsmittel verwenden, achten Sie darauf, dass es verschiedene Arten von Vitamin-E-Verbindungen und nicht nur alpha-Tocopherol enthält, damit Sie die beste Wirkung erzielen können!

Referenzen:

  1. Lester Packer, Stefan U. Weber, Gerald Rimbach: Molecular Aspects of α-Tocotrienol Antioxidant Action and Cell Signalling. In: The Journal of Nutrition. Band 131, Nr. 2, Februar 2001, S. 369S, doi:10.1093/jn/131.2.369s
  2. Ham AJ, Liebler DC. Antioxidant reactions of vitamin E in the perfused rat liver: product distribution and effect of dietary vitamin E supplementation. Arch Biochem Biophys. 1997 Mar 1;339(1):157-64. doi: 10.1006/abbi.1996.9856. PMID: 9056245.
  3. Gugliandolo A, Bramanti P, Mazzon E. Role of Vitamin E in the Treatment of Alzheimer’s Disease: Evidence from Animal Models. Int J Mol Sci. 2017;18(12):2504. Published 2017 Nov 23. doi:10.3390/ijms18122504
  4. Practice guideline for the treatment of patients with Alzheimer’s disease and other dementias of late life. American Psychiatric Association. Am J Psychiatry. 1997 May;154(5 Suppl):1-39. doi: 10.1176/ajp.154.5.1. Erratum in: Am J Psychiatry 1997 Aug;154(8):1180. PMID: 9140238.
  5. Miller ER 3rd, Pastor-Barriuso R, Dalal D, Riemersma RA, Appel LJ, Guallar E. Meta-analysis: high-dosage vitamin E supplementation may increase all-cause mortality. Ann Intern Med. 2005 Jan 4;142(1):37-46. doi: 10.7326/0003-4819-142-1-200501040-00110. Epub 2004 Nov 10. PMID: 15537682.
  6. Farina N, Isaac MG, Clark AR, Rusted J, Tabet N. Vitamin E for Alzheimer’s dementia and mild cognitive impairment. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Nov 14;11(11):CD002854. doi: 10.1002/14651858.CD002854.pub3. Update in: Cochrane Database Syst Rev. 2017 Jan 27;1:CD002854. PMID: 23152215; PMCID: PMC6464798.
  7. Dysken MW, Sano M, Asthana S, et al. Effect of vitamin E and memantine on functional decline in Alzheimer disease: the TEAM-AD VA cooperative randomized trial [published correction appears in JAMA. 2014 Mar 19;311(11):1161]. JAMA. 2014;311(1):33-44. doi:10.1001/jama.2013.282834
  8. Farina N, Llewellyn D, Isaac MG, Tabet N. Vitamin E for Alzheimer’s dementia and mild cognitive impairment. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Jan 27;1(1):CD002854. doi: 10.1002/14651858.CD002854.pub4. Update in: Cochrane Database Syst Rev. 2017 Apr 18;4:CD002854. PMID: 28128435; PMCID: PMC6464807.