Vorkommen

Resveratrol (trans-3,5,4′-Trihydroxystilben) ist eine polyphenolische Verbindung, die in Pflanzen und somit auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln vorkommt, wie z.B. in Weintrauben, Himbeeren, Maulbeeren, Pflaumen und Erdnüssen. Im Rahmen eines Screening Programms des National Cancer Institutes wurden von mehreren tausend Pflanzenarten insgesamt 72 identifiziert, welche Resveratrol (RSV) enthalten. Die höchste Konzentration von RSV wurde bislang in der Wurzel von Japanischem Staudenknöterich (Polygonium cuspidatum) bestimmt, welcher in der traditionellen chinesischen Medizin schon seit Hunderten von Jahren zur Behandlung von Entzündungen therapeutisch eingesetzt wird.

Hierzulande kommt jedoch eher den Weintrauben als RSV-Lieferant für den Menschen Bedeutung zu. In besonders großen Mengen kommt RSV in der Haut von roten Weintrauben vor, so dass signifikante Konzentrationen RSV auch im roten Traubensaft, und vor allem in Rotwein zu finden sind. Hier kommt dazu, dass während der Maischegärung besonders viel RSV durch den entstehenden Alkohol aus den Schalen extrahiert wird. Rotweine enthalten im Mittel 1-2 mg RSV pro Liter. Die Werte schwanken jedoch stark und sind von der jeweiligen Rebsorte und vom Anbaugebiet abhängig. Pinot Noir enthielt im Vergleich mit allen anderen untersuchten Rebsorten im Mittel mit 3.6 mg pro Liter die höchsten Konzentrationen. An der Spitze standen hier französiche Weine mit über 5 mg RSV pro Liter. Ebenso können weitere Faktoren wie Temperatur, pH-Wert und Schwefelung während der Weinherstellung den RSV-Gehalt im Wein maßgeblich beeinflussen. RSV kommt auch in weißen Trauben vor, jedoch enthalten sie im Schnitt nur 1 bis 5 % der Menge verglichen mit roten Trauben. Entsprechend weniger RSV ist demzufolge in Rosé-Wein und Weißwein vorhanden (1).

Funktion

Funktionell dient RSV der Pflanze als Phytoalexin. Darunter versteht man diejenigen Stoffwechselprodukte, die der Pflanze zum Schutz gegen Pilzbefall (z.B falscher Mehltau, Botryris) oder gegen andere Stressfaktoren, wie beispielsweise Beschädigung oder UV-Licht, dienen. Derartige Substanzen werden in der Fachsprache auch als sekundäre Pflanzenstoffe bezeichnet. Es werden zwei verschiedene Formen von RSV gebildet, die sich in der Molekülsymmetrie unterscheiden, und daher als cis- und trans-RSV bezeichnet werden. Sie haben ähnliche physiologische Wirkungen, aber da sich die Forschung überwiegend mit der trans-Form beschäftigt, wird ‚RSV’ im Folgenden synonym für ‚trans-RSV’ verwendet. 

Pharmakologische Wirkungen

Der sekundäre Pflanzenstoff RSV entfaltet zahlreiche biologische und pharmakologische  Schutzwirkungen und wurde bereits Mitte der Neunziger Jahre im Zusammenhang mit dem ‚French Paradox‘ bekannt. Dieses steht für die Beobachtung, dass Franzosen trotz ihres ungesünderen Lebensstils, insbesondere wegen des höheren Alkoholkonsums, länger leben als Deutsche und US-Amerikaner, und die Herzinfarkthäufigkeit in Frankreich 3-fach geringer ist als in den USA. In den Folgejahren rückte RSV in den Mittelpunkt der Forschung und zeigte in zahlreichen Testmodellen sowohl in vitro als auch in vivo antientzündliche, antioxidative, krebshemmende, herzschützende und lebensverlängernde Eigenschaften und galt als neues Wundermittel.

RSV und Alzheimer

Erste Hinweise, dass RSV auch für den schützenden Effekt von Rotwein in Alzheimer Patienten verantwortlich sein könnte, zeigten epidemiologische Studien einer französischen Forschergruppe im Jahre 1997. Sie zeigten erstmals eine inverse Korrelation zwischen mäßigem Weinkonsum und des Auftretens von Alzheimer Krankheit: so war in der Gruppe der moderaten Weintrinker (250 – 500 ml pro Tag) das Risiko einer Demenz um Faktor 5 reduziert (2). 

Damit war das Interesse der Demenzforschung an RSV geweckt. So zeigte RSV in jüngeren Studien vielfältige neuroprotektive Wirkungen im Tiermodell: es reduzierte das Absterben von Neuronen und den kognitiven Verfall in an Alzheimer erkrankten Mäusen, verbesserte die Gedächtnisleistung und zeigte sich in der Lage, zerebrale Schädigungen nach vorangegangen Hirninfarkten und traumatischen Einwirkungen zu mildern (3,4).

Auch die Frage nach dem Mechanismus der schützende Wirkung von RSV in der Alzheimerentstehung wurde in den letzten Jahren intensiv erforscht. Es zeigte sich, dass RSV seine positiven Effekte nicht nur auf einem einzigen Weg entfaltet, sondern multi-mechanistisch wirkt. Es greift in unterschiedlichen Prozessen begünstigend ein, die allesamt in der Entstehung von Alzheimer eine entscheidende Rolle spielen (4,5): 

  1. Reduktion der Amyloid-Plaques
    (Amyloid-Plaques sind Alzheimer-spezifische Ablagerungen des Proteinfragments ß-Amyloid in den Räumen zwischen den Nervenzellen)
  2. Reduktion der neurofibrillären Verflechtungen
    (Darunter versteht man Alzheimer-spezifische verdrehte Fasern eines sogenannten Tau-Proteins, die sich in Gehirnzellen gebildet haben)
  3. Regulatorische Rolle in Autophagie-Prozessen
    (Autophagie ist ein körpereigener Selbstreinigungsprozess. Wenn sie fehlreguliert ist oder eine verminderte Aktivität besitzt, führt dies durch gestörten intrazellulären Proteinabbau zu einer Ansammlung neurodegenerativer Plaques und kann somit Demenzerkrankungen begünstigen)
  4. Anti-Entzündliche Wirkung  (Chronische Entzündungen, die durch eine Störung im Gleichgewicht der entzündungshemmenden und pro-inflammatorischen Signale auftreten, gelten als mitverursachender Faktor in der Alzheimer-Entstehung) Antioxidative Wirkungen (Das Gehirn ist wegen eines Mangels an schützenden antioxidativen Systemen sehr empfindlich gegenüber oxidativen Stress. Da Alzheimer-Patienten im Anfangsstadium Hirnschädigungen aufweisen, die durch erhöhten oxidativen Stress verursacht werden, gelten sie als mitverursachender Faktor in der Alzheimer-Entstehung. (Oxidativer Stress entsteht durch beta-Amyloid, Übergangsmetalle und beschädigte Mitochondrien).

Grafik Resveratol

Klinische Studien

Aufgrund dieser überzeugenden Ergebnislage wird derzeit in klinischen Studien getestet, wie das therapeutische Potential von RSV an Alzheimer-Patienten ist. Zwei aktuelle Pilot-Studien haben gezeigt, dass RSV auch beim Menschen die Blut-Hirn-Schranke problemlos überwindet und ins Hirngewebe eindringen kann, da es in der Zerebrospinalflüssigkeit nachweisbar war. RSV wurde von allen Probanden gut vertragen und blieb bis zu einer Dosis von 5 Gramm pro Tag nebenwirkungsfrei. Beide Doppel-Blind-Studien zeigen Hinweise für positive Wirkungen von RSV am Menschen: in der mit RSV behandelten Gruppe wurde zum einen Alzheimer–Biomarker wie ß-Amyloid reduziert (6), zum anderen zeigten vier klinische Parameter eine geringere Verschlechterung des Zustandes bei der mit RSV-behandelten Patientengruppe an (7). Die Ergebnisse waren allerdings statistisch nicht signifikant aufgrund zu geringer Probandenzahlen. So bleibt es abzuwarten, ob größer angelegte Studien diese vielversprechenden Befunde bestätigen. Jedoch ist RSV bereits Bestandteil des multifaktoriellen Ansatzes des amerikanischen Neurologen Dale Bredesen, der es mit seiner als ‚ReCode’ (Reversal of Cognitive Decline) bezeichneten Therapie geschafft hat, Alzheimer-Verläufe im Anfangsstadium klinisch umzukehren (8).

Fazit:
Der sekundäre Pflanzenstoff Resveratrol, der in roten Trauben, deren Saft und Rotwein natürlich vorkommt, scheint durch vielfältige Wirkungsmechanismen für die protektiven Effekte in der Entstehung dementieller Erkrankungen verantwortlich zu sein und könnte damit ein vielversprechender Therapieansatz im Kampf gegen die Alzheimer Krankheit sein.

Referenzen

  1. Stervbo, Gang & Bonnesen (2007) A Review of the content of the putative chemoprotective phytoalexin resveratrol in red wine. Food chemistry 101: 449-457
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0308814606001075
  2. Orgogozo et al (1997) Wine consumption and dementia in the elderly: a prospective community study in the Bordeaux area. Rev Neurol (Paris) 153 (3): 185-92
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9296132-wine-consumption-and-dementia-in-the-elderly-a-prospective-community-study-in-the-bordeaux-area/
  3. Kim, Lee & Lee  (2010) Naturally occurring phytochemicals for the prevention of Alzheimer’s disease. J. Neurochem 112: 1415–1430
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1471-4159.2009.06562.x
  4. Kou & Chen (2017) Resveratrol as a natural autophagy regulator for prevention and treatment of Alzheimer’s disease. Nutrients 9: 927
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5622687/pdf/nutrients-09-00927.pdf
  5. Chen et al (2019) Resveratrol in experimental Alzheimer’s disease models: a systematic review of pre-clinical studies. Pharmacological research 150: 104476
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31605783-resveratrol-in-experimental-alzheimers-disease-models-a-systematic-review-of-preclinical-studies/?from_term=+Resveratrol+in+experimental+Alzheimer’s+disease+models&from_pos=1
  6. Turner et al (2015) A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of resveratrol for Alzheimer disease. Neurology 85 (20): 1383-1391
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4626244/pdf/NEUROLOGY2015640441.pdf
  7. Zhu et al (2018) A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of resveratrol with glucose and malate (RGM) to slow the progression of Alzheimer’s disease: A pilot study. Alzheimer’s & Dementia: Translational Research & Clinical Interventions 4: 609-616 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6240843/pdf/main.pdf
  8. Bredesen (2017) The End of Alzheimer’s: The First Program to Prevent and Reverse Cognitive Decline. 1. Edition, Verlag: Avery