Positive Nachrichten aus der klinischen Alzheimer-Forschung sind rar. In kaum einer anderen Indikation müssen forschende Pharmaunternehmen so viele Rückschläge hinnehmen wie hier. Bis dato waren pharmakologische Ansätze zur Behandlung von Alzheimer fast einheitlich erfolglos, mit über 400 gescheiterten klinischen Studien. Seit 2002 gibt es keine Neuzulassung im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen.

Das hat sich am 7. Juni 2021 geändert: der Wirkstoff Aducanumab des US-Biotechkonzerns Biogen (und seinem japanischer Forschungspartner Eisai) wurde von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen. Das Medikament, welches den Patienten intravenös verabreicht wird, wird in den USA unter dem Medikamentennamen Aduhelm erhältlich sein.

Aduhelm wirkt auf Grundlage einer passiven Immunisierung. Es ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gegen das für die Alzheimer-Krankheit charakteristische Protein Amyloid-ß richtet. Aus diesen Amyloid-ß-Proteinen bestehen die Ablagerungen im Gehirn, die sogenannte Plaques, die mit der Zerstörung der Nervenzellen in Verbindung gebracht werden. Der Wirkungsmechanismus von Aduhelm beruht darauf, dass der Abbau von β-Amyloid gefördert wird und dadurch die schädlichen Plaques reduziert werden.

Problem 1: Umstrittene Zulassung von Aducanumab

Der Zulassung von Aduhelm ging eine äußerst kontrovers geführte Diskussion voraus. Der Antikörper wurde in zwei Phase-III-Studien (Emerge– und Engage-Studie) mit rund 3285 Probandinnen und Probanden, die um die 70 Jahre alt waren und unter MCI (Mild Cognitive Decline) oder Alzheimer-Erkrankung litten, getestet. Die Studien wurden im März 2019 aufgrund einer Zwischenanalyse, die auf gewonnenen Daten von ca. 1.700 Probanden basierte, vorzeitig abgebrochen, da Aducanumab keinen Nutzen zu zeigen schien.

Im Oktober erfolgte dann die Kehrtwende: Biogen erklärte, dass zusätzliche Daten ausgewertet wurden, insgesamt nun von rund 3.200 Probanden. Diese neue Analyse ergab, dass es in der Emerge-Studie doch eine positive Wirkung geben könnte, hier bauten die Probanden, die Aducanumab in der höchsten Dosierung bekamen, geistig etwas weniger schnell ab als die Placebogruppe: die Kognition der Probanden mit hoher Aduhelm-Dosierung verschlechterte sich nach 78 Wochen um 22 % weniger als bei der Placebogruppe. Unter der niedrigeren Dosis betrug die Verschlechterung 15 %, jedoch war dieser Effekt statistisch nicht signifikant.

In punkto Wirksamkeit gegen den kognitiven Verfall waren die Ergebnisse somit immer noch unschlüssig: die Emerge-Studie deutete zwar darauf hin, dass das Medikament den kognitiven Abbau in der höheren Dosierung leicht verlangsamt, in der anderen Engage-Studie wurde allerdings kein positiver Effekt erzielt.

Trotz dieser widersprüchlichen Datenlage beantragte Biogen im Oktober 2020 in Absprache mit der Arzneimittelbehörde FDA Zulassung von Aduhelm. Die Behörde hat dem Antrag im Juni 2021 in einem beschleunigten Verfahren zugestimmt, obwohl es im November zuvor zu einer negativen Empfehlung ihres externen Beratergremiums kam. Zehn von elf Mitgliedern dieses wissenschaftlichen Beratergremiums der FDA hatten sich – ebenso wie einige Demenz-Experten – gegen eine Zulassung ausgesprochen, da ihrer Ansicht nach die Beweise für einen Nutzen in Relation zu den Risiken zu gering seien.

Problem 2: Reduktion der Amyloid-Belastung, aber kein Patienten-Nutzen

Sowohl Kritiker als auch Befürworter der Zulassung sind sich in dem Punkt einig, dass der Antikörper Aduhelm die zerebrale Amyloid-ß-Konzentration deutlich reduziert. Leider wurde dabei übersehen, dass der Ansatz, der mit Aduhelm verfolgt wird, auf einem Irrtum beruht: In der Vergangenheit glaubte man, dass die Alzheimer-Krankheit durch die Ansammlung von Amyloid-ß im Gehirn verursacht wird, und dass durch die Entfernung des Amyloids die ursächlich Alzheimer-Krankheit beseitigt wird. Das hat sich aber als falsch herausgestellt und heute weiß man, dass Amyloid-ß ein Teil der Antwort des angeborenen Immunsystems ist und viele schützende Funktionen hat, darunter auch der Schutz vor oxidativem Stress und seine antimikrobielle Wirkung. Somit würde eine Reduktion der Amyloid-Konzentration keineswegs bedeuten, dass der Erkrankungsprozess gebremst, gestoppt oder gar rückgängig gemacht werden kann. Im Gegenteil: Dem Gehirn würde vielmehr einer Schutzfunktion durch die Antikörper beraubt. Während diese Medikamente also als „krankheitsreduzierende Mittel“ angepriesen wurden, stellten sie sich nur als „amyloidreduzierende Mittel“ heraus: das Amyloid wird erfolgreich verringert, aber die Alzheimer-Krankheit wird nicht verbessert, im Gegenteil, die Demenz-Symptome bleiben und schreiten weiter voran.

In jüngster Vergangenheit gab es einige Rückschläge in der Antikörper-Therapie gegen Alzheimer: Zuletzt hatten die Hersteller Roche und AC die Immune 2-Studien mit dem Antiköper Crenezumab gestoppt, nachdem eine Zwischenauswertung der Studien CREAD 1 und CREAD 2 keine Hinweise auf eine Verlangsamung des kognitiven Verfalls geliefert hatten. Davor hatte der Pharmakonzern Eli Lilly & Co mit Solanezumab einen enttäuschenden Rückschlag in der EXPEDITION-Studie zu verbuchen, aber einen weiteren Antikörper mit dem Namen Donanemab aktuell in der Zulassung. Dieser zeigte in der Phase-II-Studie TRAILBLAZER-ALZ ebenfalls eine signifikante Reduktion der Amyloid-Plaques, aber auch er konnte, was jetzt wohl nicht mehr überrascht, die Erkrankung weder aufgehalten noch heilen. Lediglich das Fortschreiten des kognitiven Abbaus konnte um etwa ein Drittel verlangsamt werden.

Ganz besonders ernüchternd bilden sich die Studien-Daten der Antikörper-Monotherapien im Vergleich mit der kürzlich erschienenen klinischen Studie des multimodalen ReCode-Konzeptes nach Dr. Dale Bredesen ab (siehe Abbildung). Diese Therapie verfolgt 36 mögliche Ansatzpunkte, die ursächlich mit der Alzheimerkrankheit in Verbindung stehen. Die klinische Studie hat beispielslos beweisen, dass es mit ReCode durch Lebensstiländerungen möglich ist, den Krankheitsverlauf von Alzheimer, vor allem in frühen Stadien, zu stoppen oder rückgängig zu machen.

Problem 3: Reduktion der Amyloid-Belastung mit fatalen Nebenwirkungen

Tatsächlich führte die Entfernung des Amyloids mit Aduhelm in der Studie bei etwa 35 % der Patienten zu Hirnschwellungen, Hirnblutungen, oder weiteren unangenehmen Nebenwirkungen. Diese potenziell lebensgefährlichen Nebenwirkungen traten bei höherer Dosierung verstärkt auf und nahmen bei Aussetzen der Dosierung wieder ab. Von den betroffenen Patienten trugen ca. 50 % das ApoE4-Gen. Dies ist genau die Patienten-Gruppe, die ein erhöhtes Risiko für Alzheimer hat und daher eine wirksame Therapie besonders nötig hat. Aber das Einzige, was das Medikament nicht bewirkt, ist die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten – die einzige Anforderung an eine wirksame Alzheimer-Therapie!

Problem 4: Gigantische Therapie-Kosten

In der amerikanische Zeitschrift The Atlantic erörtern zwei Juraprofessoren die ökonomischen Auswirkungen der Zulassung von Aduhelm und kommen zu dem Schluss, dass die gigantischen Kosten des Medikaments die US-Staaten dazu zwingen könnten, andere Budgets wie z.B. das Bildungsbudget zu kürzen. Man schätzt, dass die Zulassung des Medikaments Hunderte von Milliarden Dollar an neuen Staatsausgaben auslösen könnte. Kein Wunder, da der Preis für das Medikament bei durchschnittlich 56.000 Dollar pro Jahr und Patient liegen wird. Und diese Zahl beinhaltet noch nicht die zusätzliche bildgebende Diagnostik, die zur weiteren Diagnose oder für die Überwachung bei schwerwiegenden Nebenwirkungen notwendig sind. Das sind recht gewaltige Kosten, und das alles für ein Medikament mit hohem Nebenwirkungspotential, dessen therapeutische Wirksamkeit zudem fraglich ist, das einstimmig vom beratenden Expertengremium abgelehnt wurde, und dessen Genehmigung drei Rücktritte aus dem beratenden Gremium selbst zur Folge hatte. Traurigerweise ist dies ein klassisches Beispiel dafür, wie weit die Ziele des Gesundheitswesens und die Ziele der Gesundheitswirtschaft auseinanderklaffen und in diesem Fall die Wirtschaft über die Gesundheit gesiegt hat.

Fazit:

Im Juni 2021 wurde mit dem Wirkstoff Aducanumab (Markenname: Aduhelm) des US-Konzerns Biogen seit fast zwei Jahrzehnten ein neues Medikament für Patienten mit der neurodegenerativen Erkrankung Alzheimer von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. Die Behörde erteilte die Zulassung trotz einer negativen Empfehlung ihres externen Beratergremiums und inhomogener Studiendaten. Aducanumab ist ein Antikörper, der sich spezifisch gegen die Alzheimer-spezifischen Amyloid-ß-Ablagerungen im Gehirn richtet und diese auch nachweislich reduziert. Jedoch wird die Alzheimer-Krankheit dadurch nicht gelindert, im Gegenteil, die Demenz-Symptome bleiben und schreiten weiter voran. Zudem kommt es bei ca. 35% (!) der Patienten zu Hirnödemen und -blutungen, und auch die Kosten sind mit durchschnittlich 56.000 Dollar pro Jahr und Patient immens. Wirtschaftsexperten prognostizieren bereits den finanziellen Zusammenbruch des US-amerikanischen Gesundheitssystems.

All dies scheint vor dem Hintergrund des multimodalen, Lebensstil-orientierten Therapie-Konzepts nach Dr. Dale Bredesen geradezu paradox, da mit diesem eine nachweislich wirksame, nebenwirkungsfreie und deutlich weniger kostenintensive Therapiemöglichkeit für Alzheimer zur Verfügung steht. Aber zum Glück haben Sie mit diesem Wissen die Wahl, sich für die richtige Therapie für Ihre geistige Gesundheit zu entscheiden!

Referenzen:

  1. LH Kuller, OL Lopez (2021) ENGAGE and EMERGE: Truth and consequences? Alzheimers Dement, Apr;17(4):692-695. doi: 10.1002/alz.12286
  2. K Servick (2019) Doubts persist for claimed Alzheimer’s drug. Science 366 (6471): 1298. doi: 1126/science.366.6471.1298
  3. Makin (2018) The amyloid hypothesis on trial, Nature 559: S 4–S 7. doi: 10.1038/d41586-018-05719-4
  4. MA Mintun, AC Lo, CD Evans, Ph.D., AM Wessels, et al. Donanemab in Early Alzheimer’s Disease (2021). N Engl J Med; 384:1691-1704. DOI: 10.1056/NEJMoa2100708
  5. Sevigny J, Chiao P, Bussière T, Weinreb PH, Williams L, Maier M, et al. The antibody aducanumab reduces Aβ plaques in Alzheimer’s disease. Nature. 2016 01;537(7618):50–70.
  6. https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2021/06/aduhelm-drug-alzheimers-cost-medicare/619169/
  7. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02484547
  8. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02477800
  9. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03367403