Erste Zusammenhänge zwischen Diabetes Typ-2 und Alzheimer wurden bereits in den 90er-Jahren beobachtet. In der Rotterdam-Studie wurde bei Diabetikern ein ca. doppelt so hohes Risiko für die Alzheimer-Erkrankung ermittelt wie für Nicht-Diabetiker [1]. Dieser Zusammenhang wurde über vaskuläre Prozesse erklärt, wie sie beim Diabetes im Rahmen der Mikroangiopathie (Schädigung der kleineren Blutgefäße) zu finden sind. Heute weiß man zudem, dass der Zucker-Stoffwechsel im Gehirn von Alzheimer-Kranken deutlich verringert ist und somit ist die gestörte Energieversorgung des Gehirns vermehrt in den Blickpunkt der Kausalität gerückt. Diese gestörte Glukose-Verwertung und die damit verbundene energetische Unterversorgung der Neuronen konnte auch in bildgebenden Verfahren, im sogenannten PET-Scan mit 18F-markierter Fluordesoxyglukose sichtbar gemacht werden [2].

Betroffen von dieser Energiekrise im Gehirn sind vor allem die Strukturen des Hippocampus, (der Gehirnregion, die für unsere Gedächtniskonsolidierung verantwortlich ist). Man könnte vermuten, dass dieser Energiemangelzustand durch verminderte Glukoseoxidation eine Folge der Alzheimererkrankung ist. Es hat sich aber das Gegenteil herausgestellt: die Alzheimer-Demenz ist die Folge der Unterversorgung. Die Herabsetzung der Energiegewinnung im Hippocampus gilt als sehr frühes Ereignis im Zuge der Erkrankung und geht der Erkrankung Jahre bis Jahrzehnte voraus. In diesem Zusammenhang prägte die Ärztin Suzanne de le Monte 2008 den Begriff  „Diabetes Typ-3“ für diese zerebrale (das Großhirn betreffende) Form der Insulinresistenz: demnach stellt die Alzheimer-Demenz eine Form von Diabetes dar, die selektiv das Gehirn betrifft und molekulare und biochemische Merkmale aufweist, die sich mit Typ-2-Diabetes mellitus überschneiden. Das heißt, dass der Ausbruch der Alzheimer-Krankheit durch die massive Insulinresistenz, die bei einem Typ-2 Diabetes vorliegt, gefördert werden kann. Aber die Insulinresistenz kann auch isoliert im Gehirn vorliegen: es gibt auch Alzheimer-Patienten mit einem zerebralem Energiedefizit, die nicht an Diabetes Typ-2 leiden [3]. Dies sollte nicht mit dem Diabetes Typ-3c, dem sogenannten pankreatogener Diabetes, verwechselt werden. Diese Form des Diabetes entsteht durch Erkrankungen oder Verletzungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die unter anderem die Insulinausschüttung beeinträchtigen.

Weiterhin zeigt sich auch in Studien eine enge Korrelation zwischen dem (im PET-Scan gemessenen) zerebralen Glukosemangel und den reduzierten kognitiven Fähigkeiten von Alzheimer-Patienten. Wir wissen heute, dass der Hungerzustand des Gehirns auf Dauer zum Erliegen seiner spezifischen Funktionen und zum Absterben von Gehirnzellen führt, was sich besonders auffällig an der Einschränkung des Gedächtnisses zeigt. Aber wie kommt es zu dieser zerebralen Unterversorgung?

Insulinresistenz im Gehirn

Anders als das Muskel- und Fett-Gewebe galt das Gehirn lange Zeit als insulinunabhängiges Organ. Seit der Entdeckung der Insulinrezeptoren, die in nahezu allen Gehirnzellen vorkommen, und der hohen Dichte an insulinabhängigen Glukosetransportern GLUT4 in der Hippocampus-Region ist klar, dass Insulin eine Schlüsselkomponente im Gehirn und vor allem für die Gedächtnisprozesse im Hippocampus ist (s. Infobox). Da das Gehirn auf Insulin angewiesen ist, um zu funktionieren, ist es nicht verwunderlich, dass es auch selbst in der Lage ist, eigenes Insulin zu produzieren.

Wenn aber bereits eine Insulinresistenz im Körper vorliegt, stellt die Bluthirnschranke zum Schutz nur noch eine reduzierte Menge an Insulintransportern zu Verfügung, was dem in der Pankreas (Bauchspeicheldrüse) gebildeten Hormon Insulin den Durchgang in das Hirngewebe verwehrt. Auch kann die hirneigene Insulinsynthese als Antwort auf die Insulinresistenz im Körper vermindert sein. Auf diese Weise entsteht ein Insulinmangel im Gehirn, eine sogenannte zerebrale Hypoinsulinämie, welche bereits in Gehirnen von Alzheimererkrankten nachgewiesen wurde. Man spricht jetzt auch von einer Insulinresistenz des Gehirns, die sich allerdings im Gehirn durch einen Insulinmangel darstellt, während im insulinresistenten Körper ein Zuviel an Insulin vorliegt [4].

Die dadurch verminderte Insulinwirkung wird offensichtlich durch eine gestörte Bildung von wichtigen Bestandteilen der Insulinsignalkaskade verstärkt: so wurde in den Gehirnen von Alzheimerpatienten zusätzlich zu dem Insulinmangel auch eine auffällige Reduktion der Insulin-Rezeptoren, des insulin-ähnlichen Wachstumsfaktors IGF und dessen Rezeptoren nachgewiesen. Selbst wenn ausreichend Insulin vorhanden wäre, könnte es in diesem Fall seine Wirkung nicht entfalten, da die Signalkaskade geschädigt ist. Das Alzheimer-Gehirn wird somit insulin-resistent [4].

Physiologische Aufgaben des Insulins im Gehirn

Die Zusammenhänge zwischen Alzheimer und zerebralem Insulinmangel werden recht klar, wenn man sich die vielfältigen Aufgaben des Insulins im Gehirn – neben der Glukoseaufnahme – anschaut [5]:

  • Regulation der physiologischen Phosphorylierung des Tau Proteins und dadurch Verhinderung der Entstehung der Alzheimer-typischen neurofibrillären Bündeln
  • Regulation der Spaltung des Amyloid Vorläufer Proteins APP: dadurch Hemmung der Entstehung von pathologischen Amyloid-ß-Proteinen und Förderung von Synapsenbildung und neuronaler Entwicklung
  • Entfernung der Alzheimer-typischen Amyloid-ß-Plaques durch Stimulation von deren Abbau und Abtransport
  • Förderung der Bildung des Botenstoffes Acetylcholin, der sich stimulierend auf die kognitiven Funktionen auswirkt
  • Schutz vor neuronaler Apoptose, dem programmierten Tod von Gehirnzellen
  • Förderung der normalen Funktion der Mitochondrien und somit Aufrechterhaltung der zellulären Energiegewinnung
  • Genereller Schutz vor oxidativem Stress und Neuroinflammation

Eine andere Hypothese sucht die Verbindung zwischen Insulinresistenz und Alzheimer nicht nur auf Insulinproblemen per se. Möglicherweise kann auch das Insulin-abbauende Enzym IDE (im Englischen Insulin-degrading Enzyme), welches Insulin nach verrichteter Arbeit im Blut abbaut, aber auch Amyloid-ß-Proteine im Gehirn unschädlich macht. Wenn aber die hohen Insulin-Spiegel im Körper die IDE-Produktion übertreffen, hat IDE nur noch begrenzte Kapazitäten, amyloidogene Proteine im Gehirn abzubauen, und in der Folge können mehr Alzheimer-spezifische Amyloid-ß-Plaques im Gehirn entstehen [6].

Komplexe molekulare Mechanismen

Die molekularen Mechanismen, die zu der Störung des zerebralen Glukose- bzw. Insulinstoffwechsels führen, sind komplex und noch nicht vollständig aufgeklärt. In Verdacht stehen die sogenannten „fortgeschrittenen Glykationsendprodukte“, in Englisch „Advanced Glycation End Products“, auch AGEs genannt. AGEs sind Reaktionsprodukte von Glukosemolekülen mit zellulären Protein-Strukturen. Sie entstehen als direkte Folge der ständig (zu) hohen Blutzuckerspiegel bei Diabetespatienten. AGEs können zu peripheren Entzündungsreaktionen führen und die normale Zellsignalisierung stören. Dies hat eine gestörte Insulinsignalisierung zur Folge und gilt als Hauptfaktor für die Insulinresistenz in diabetischen Zellen. Neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge scheinen diese Prozesse auch ursächlich bei der zerebralen Insulinresistenz, wie sie bei neurodegenerativen Erkrankungen auftritt, eine Rolle zu spielen. Man vermutet, dass unabhängig vom Entzündungsherd, proinflammatorische Botenstoffe die Blut-Hirn-Schranke passieren und so hirnspezifische Entzündungsreaktionen, eine sogenannte Neuroinflammation, auslösen.

Auch führt der insulinresistente Zustand des Gehirns zu den Alzheimer-typischen morphologischen (strukturellen) Veränderungen, der Ablagerung von Amyloid-ß-Proteinen und der Bildung von neurofibrillären Tangles (auch Alzheimer-Fibrillen genannt, spezielle Eiweißansammlungen). Diese können die Bindung von Insulin an seinen Rezeptor stören, entweder durch Abbau- oder Hemmungsprozesse. Ein Teufelskreis beginnt, wodurch sich der neurodegenerative Aspekt der Insulinresistenz stetig verschlimmert [5].

Fazit

Der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Alzheimer ist seit langer Zeit bekannt. Heute weiß man auch, dass die Störung des Glukose-Stoffwechsels im Hippocampus zu einer Energieunterversorgung führt, die auf eine Störung der Insulinsignalkaskade zurückgeht. Insulin besitzt im zentralen Nervensystem neben der Glukoseaufnahme entscheidende regulatorische Funktionen. Die bei der Alzheimerkrankheit auftretende zerebrale Insulinresistenz ist durch einen Insulinmangel geprägt und kann verheerende Folgen haben: Energieunterversorgung, Verlust der synaptischen Plastizität, Amyloid-ß- und neurofibrilläre Ablagerungen, Acetylcholin-Mangel, mitochondriale Dysfunktion und Neuroinflammation, allesamt wesentliche Bausteine in der Alzheimer-Pathologie.

 Somit wird immer deutlicher, dass Alzheimer-Demenz eine komplexe neuro-endokrine Störung darstellt, die dem Diabetes Typ-2 ähnelt, sich aber dennoch von ihm unterscheidet und daher zurecht als Diabetes Typ-3 bezeichnet wird. Da diese Störungen lange vor den Alzheimer-typischen Symptomen auftreten, ist insbesondere das frühzeitige Erkennen und Behandeln einer Insulinresistenz entscheidend in der Prävention und Therapie der Alzheimer-Erkrankung. 

Kurz notiert

Die Glukose gelangt mit spezifischen Glukosetransportern (GLUT) aus dem Blut in die Zellen. Fettzellen und Muskelzellen (Herz- und Skelettmuskel) besitzen den insulin-abhängigen Glukosetransporter GLUT4. Dieser wird im Inneren der Zelle in Membran-Vesikeln (Bläschen in der Zellmembran) gespeichert. Steigt der Blutzuckerspiegel an, vermittelt Insulin durch Bindung an den Insulin-Rezeptor den Transport von GLUT4 zur Zellmembran und stellt ihn somit zur Glukoseaufnahme bereit. Dagegen sind die insulin-unabhängigen Glukosetransporter (z.B. GLUT1, GLUT2 und GLUT3) dauerhaft in die Zellmembran eingebaut und können Glukose auch ohne Insulinwirkung transportieren. GLUT1 kommt in fast allen Körperzellen vor, GLUT2 in Leber-, Darm- und Nierenzellen. Die Nervenzellen im Gehirn besitzen überwiegend GLUT1 und GLUT3.  Im Gehirn kommt auch der insulin-abhängige Glukosetransporter GLUT4 in neuronalen Zonen mit hohem Energiebedarf vor. Insbesondere die Neuronen im Hippocampus verfügen über eine hohe Dichte an GLUT4. Dies hat Forscher zur Spekulation bewegt, dass GLUT4 wahrscheinlich GLUT3, den wichtigsten neuronalen Glukosetransporter, bei der Deckung des Bedarfs an Glukoseversorgung der Neuronen in Zeiten erhöhten Energiebedarfs unterstützt. Auch scheint diese Rolle von GLUT4 spezifisch für Neuronen zu sein: Im Hippocampus ist GLUT4 überall dort reichlich vorhanden, wo es auch Insulin-Rezeptoren gibt. Dagegen wurde Insulin-Rezeptoren aber auch in vielen anderen Zelltypen des Gehirns, wie z. B. Astrozyten, Endothelien, Mikroglia, identifiziert, die keinen GLUT4 besitzen. Letzteres macht deutlich, dass Insulin bzw. seine Rezeptoren neben der Glukoseaufnahme im Gehirn weitere wichtige Aufgaben hat [7].

Referenzen:

  1. A Ott, RP Stolk, A Hofman, F van Harskamp, DE Grobbee & MMB Breteler (1996) Association of diabetes mellitus and dementia: The Rotterdam Study. Diabetologia 39: pp 1392–1397. DOI 10.1007/s001250050588
  2. L Mosconi (2005) Brain glucose metabolism in the early and specific diagnosis of Alzheimer’s disease. European Journal of Nuclear Medicine and Molecular Imaging 32: pp 486–510. DOI 10.1007/s00259-005-1762-7
  3. SM de la Monte, JR Wands (2008) Alzheimer’s disease is type 3 diabetes-evidence reviewed. Diabetes Sci Technol 2(6): pp 1101-13. DOI: 10.1177/193229680800200619
  4. ↑2 E Steen, BM Terry, EJ Rivera, JL Cannon, TR Neely, R Tavares, XJ Xu, JR Wands JR, SM de la Monte SM (2005) Impaired insulin and insulin-like growth factor expression and signaling mechanisms in Alzheimer’s disease–is this type 3 diabetes? Journal of Alzheimer’s Disease 7(1): pp 63-80. DOI: 10.3233/jad-2005-7107
  5. ↑2 JCC Shieh, PT Huang, YF Lin (2020) Alzheimer’s Disease and Diabetes: Insulin Signaling as the Bridge Linking Two Pathologies. Molecular Neurobiology 57:1966–1977 DOI: 10.1007/s12035-019-01858-5
  6. H. Li et al. (2018) Insulin degrading enzyme contributes to the pathology in a mixed model of Type 2 diabetes and Alzheimer’s disease: possible mechanisms of IDE in T2D and AD. Bioscience Reports. Vol. 38/1:1-10. https://doi.org/10.1042/BSR20170862
  7. EC McNay, J Pearson-Leary (2020) GluT4: A central player in hippocampal memory and brain insulin resistance. Exp Neurol 323/113076: 1-9.
    DOI 10.1016/j.expneurol.2019.113076