Stress  

Das Gehirn ist das primäre Kontrollzentrum für unseren gesamten Körper und kann durch Stress in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt werden. Die stressauslösenden Reize werden als Stressoren bezeichnet. Die physiologischen und verhaltensbezogenen Veränderungen als Reaktion auf die Exposition gegenüber Stressoren stellen die Stressreaktion dar. Alle physischen oder psychischen Stressoren, die die natürliche Homöostase (dynamisches Gleichgewicht) stören, führen zu einer Stressreaktion. Eine Stressreaktion wird durch ein komplexes Zusammenspiel von nervösen, endokrinen und immunologischen Mechanismen vermittelt. Die Stressreaktion selbst ist eine wichtige Funktion des Körpers. Sie hilft uns, uns auf Gefahren vorzubereiten oder auf Notfälle zu reagieren [1].  

Die Physiologie der Stressreaktion 

Die Stressreaktion läuft über 2 Stressachsen ab: die schnellere neuronale Achse über den sympathischen Nervenstrang (Sympathikus-Nebennierenmark-Achse, abgekürzt SNA oder SAM) und die etwas langsamere hormonelle Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, abgekürzt HHNA oder HPA-Achse).  

Schnellere Stressantwort über die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse 

Die schnellere Stressantwort über die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse (SNA oder SAM) bewirkt über adrenerge und noradrenerge Neuronen (Neuronen, die über die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin aktiviert werden) schnelle Reaktionen der Zielorgane und vermittelt motorisch betonte Aktivität. Dabei aktiviert der Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems, der für Leistung und Aktivität verantwortlich ist) das Nebennierenmark, welches Adrenalin und Noradrenalin (Katecholamine) ausschüttet. Durch diese Vorgänge wird die Verdauungsarbeit herabgesetzt, Blutdruck, Blutfluss der Skelettmuskulatur, Blutzuckerspiegel und die Herzfrequenz werden erhöht und die Atmung durch die Bronchienerweiterung erleichtert. Dadurch steigt die Sauerstoff- und Glukoseversorgung und es entsteht eine erhöhteWachsamkeit, gesteigerte Gehirnleistung und Schmerzlinderung. Der Organismus ist nun in eine optimale Flucht oder Kampfbereitschaft gebracht (Flight or Fight-Response) [2]. 

Langsamere Stressantwort über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse  

Die langsamere Stressantwort über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA oder HPA-Achse) versetzt den Körper etwas verzögert in einen ‚Ausnahmezustand‘ und vermittelt über verschiedene Hormone, wie z.B. Cortisol, Stressanpassungen in Bereichen von Stoffwechsel und Immunsystem. Zu den wichtigsten Cortisolwirkungen zählen: Erhöhung des Blutzuckers sowie von Protein- und Fettabbau, Hemmung von Proteinsynthese und Gewebeaufbau (z.B. in Haut), Kollagen, Gefäßen und Knochen (langfristig: Osteoporose), Hemmung von Immunzellen und Entzündungsmediatoren wie Interleukinen, Interferon oder Histamin, verminderte Ausschüttung von Sexualhormonen und anderen Hormonen. Weiterhin bewirkt es auch eine Hemmung von Gedächtnis, Informationsverarbeitung, Sexualität, Schlaf wie auch Hemmung von neuronaler Bahnung, Vernetzung und Differenzierung. Auf diese Weise wirkt Cortisol bei langfristiger Ausschüttung hemmend und destabilisierend auf das ZNS und ist wesentlich an den pathophysiologischen Entwicklungen bei Dauerstress beteiligt [2]. 

Die Stressreaktion ist zunächst adaptiv, d. h. sie bereitet den Körper darauf vor, mit den Herausforderungen fertig zu werden, die der Stressor mit sich bringt. So dienen beispielsweise die physiologischen Reaktionen des Körpers auf ein Trauma und einen invasiven Eingriff dazu, weitere Gewebeschäden abzumildern. Ist die Belastung durch einen Stressor jedoch tatsächlich oder gefühlt intensiv, wiederholt (wiederholter akuter Stress) oder dauernd über einen längeren Zeitraum (chronischer Stress), wird die Stressreaktion maladaptiv und schadet der Physiologie. Auf diese Weise kann die Belastung durch chronische Stressoren und ständige Cortisolausschüttung über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse unangepasste Reaktionen wie Depressionen, Angstzustände, kognitive Beeinträchtigungen und Herzerkrankungen hervorrufen [3]. 

Zusammenhang zwischen chronischem Stress und Alzheimer 

Chronischer Stress wird mit einem erhöhten Risiko für die Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht. Eine Langzeitstudie der schwedischen Universität Göteborg aus dem Jahre 2013 zeigte, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken direkt mit der Anzahl der durchlebten Stressereignisse korrelierte. Dabei konnten selbst vergangene Stresserlebnisse auch noch nach vielen Jahren zu einer erhöhten Stressbelastung beitragen [4]. Weiterhin ergab eine aktuelle Kohortenstudie, an der 1.362.548 Menschen zwischen 18 und 65 Jahren in der Region Stockholm teilnahmen, dass chronischer Stress das Risiko einer leichten kognitiven Beeinträchtigung und der Alzheimer-Krankheit um das 2,45-fache erhöht [5]. Darüber hinaus wurden in Studien mit Bildgebungsverfahren (Kernspinresonanztomographie) um 5 bis 26 % verkleinerte Hippocampusregionen bei stressbelasteten Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden festgestellt [6]. In diesen Studien korrelierte die Stärke der von den Patienten erlebten Traumata mit dem Grad der Hirn-Schrumpfung. Da der Hippocampus der Ort der Gedächtniskonsolidierung darstellt und bei der Alzheimererkrankung als erstes zerstört wird, belegen diese Studien den Zusammenhang zwischen chronischem Stress und der Beschleunigung der Entstehung der Alzheimer-Krankheit recht deutlich.  

Der Teufelskreis des Stresses

Abb 1. Der Teufelskreis von Stress, vorgeschlagen von Justice (2018)

Der Molekularbiologe Nicholas Justice stellte die äußerst komplexe Beziehung zwischen Stress und der Alzheimer-mit einem stark vereinfachten Konstrukt dar, dem „Teufelskreis des Stresses“ [7]. 

Im „Teufelskreis des Stresses“ steht die rechte Seite des Zyklus für den negativen Einfluss von Stress auf neurodegenerativen Erkrankungen wie die Alzheimer Erkrankung. Demnach verschlimmern chronischer Stress und die damit verbundenen erhöhten Cortisolspiegel die Alzheimer-Krankheit durch eine dauerhafte Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (Mitte) und führen zu einer schnelleren Entwicklung der neuronalen Pathologie und zum Verlust kognitiver Funktionen, was bereits in zahlreichen Studien experimentell nachgewiesen wurde [7]. Es gibt jedoch weit weniger Studien, die sich mit der linken Seite des Teufelskreises befasst haben. Hier ist dargestellt, dass die Alzheimer-Krankheit die neuronalen und endokrinen Schaltkreise der Stressreaktion stört, wodurch wiederum neuropsychiatrische Komorbiditäten wie Depressionen, Angstzustände, Schlaflosigkeit und aggressives Verhalten entstehen. Das kann wiederum das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung beschleunigen und zu neuropsychiatrischen Komplikationen führt [7]. Demnach würde sich Stress und die Alzheimererkrankung gegenseitig verstärken. 

Stress ist messbar 

Chronische Stressbelastungen können auch objektiv gemessen werden. Dazu können physiologische Messungen wie z. B. die Analyse der Herzfrequenzvariabilität (HRV), die Messung des Cortisolspiegels und Katecholaminen (Adrenalin und Noradrenalin) zur objektiven Messung von eingesetzt werden.  

Die HRV ist ein Maß für die zeitlichen Schwankungen zwischen den einzelnen Herzschlägen, die durch das vegetative Nervensystem gesteuert werden. Sie spiegelt die Fähigkeit des Körpers wider, sich an Veränderungen anzupassen und kann ein Indikator für das allgemeine Wohlbefinden, das Stressniveau und die Fitnessbereitschaft sein. Eine hohe HRV wird mit einer höheren kardiovaskulären Fitness und Stressresistenz in Verbindung gebracht. Doch mit zunehmendem Alter nimmt die HRV ab, während gleichzeitig der Noradrenalinspiegel im Blut steigt. Diese Veränderungen führen zu einer geringeren Anpassungsfähigkeit an Stress und können das Risiko für verschiedene Gesundheitsprobleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Angstzustände und Alzheimer erhöhen. 

Stressbewältigung durch Herzkohärenz-Atmung führt zur Reduktion der Biomarkern der Alzheimererkrankung 

Ein Hoffnungsschimmer ist eine bahnbrechende Studie, die darauf hindeutet, dass das eine spezielle Atemtechnik Stress reduzieren und möglicherweise das Alzheimer-Risiko verringern könnte. 

Die Atmung hilft, den eigenen Herzrhythmus zu regulieren und kann zu einem Zustand der Herzrhythmuskohärenz (oder kurz Herzkohärenz) führen. Herzkohärenz beschreibt den Zustand, bei dem die Atmungsfrequenz und die Herzrate in Einklang sind. Die Herzkohärenzatmung, auch Resonanzatmung genannt, entspricht demnach der Atemfrequenz, bei der die höchste Übereinstimmung der Herzrate und Atmung besteht. In der Kohärenzatmung ist die Herzratenvariabilität HRV (Variation der Zeitabstände zwischen den Herzschlägen) am höchsten. Um Herzkohärenz zu erreichen, muss die Atmung mit einer bestimmten Technik bewusst verlangsamt werden, wobei man langsam und auf das Herz fokussiert atmet, und sich währenddessen positive Emotionen wie Gelassenheit, Dankbarkeit, Wertschätzung oder Mitgefühl suggeriert. Während der Kohärenz treten eine Reihe wichtiger physiologischer Veränderungen auf. Die beiden Zweige des vegetativen Nervensystems synchronisieren sich miteinander, und es gibt eine allgemeine Verschiebung in Richtung einer erhöhten parasympathischen Aktivität (Parasympatikus = Erholungsteil des vegetativen Nervensystems). 

Im Rahmen der Studie wurde die von HeartMath entwickelte emWave® Pro Software eingesetzt, um die Teilnehmer in langsamer Herzkohärenz-Atmung zu schulen. Dabei wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt: Die Interventionsgruppe übte langsames Kohärenz-Atmen bei Frequenz von 0,1 HZ mit dem HeartMath-System, was die Teilnehmer nachweislich in die Herzkohärenzfrequenz brachte. Über das Software-gesteuerte HRV-Biofeedback in Echtzeit war es den Teilnehmern möglich, ihre Atemtechnik zu optimieren. Die Kontrollgruppe dagegen wurde angewiesen, individuelle Strategien anzuwenden, um ihre HRV zu erhöhen. Die Atemtechniken wurden in beiden Gruppen 20-40 min täglich durchgeführt. Um Effekte auf die Gehirnphysiologie zu erfassen, wurden in beiden Gruppen verschiedene Biomarker der Alzheimererkrankung gemessen. 

Die Ergebnisse waren verblüffend. Das Wissenschaftsteam konnte zeigen, dass bereits vier bis fünf Wochen langsames herzkohärentes Atmen unter Verwendung des HRV-Biofeedbacks folgende Biomarker der Alzheimer-Erkrankung positiv beeinflusste:  

  1. Das Hippocampus-Volumen nahm bei älteren Erwachsenen zu [4]. 
  2. Die Plasmaspiegel der Alzheimer-spezifischen Proteine (Amyloid-ß) waren bei jüngeren wie auch bei älteren Erwachsenen verringert (möglicherweise durch Verringerung der Produktion von Amyloid-ß und Erhöhung der zellulären Entsorgung von Amyloid-ß) [5]. 
  3. Das kortikale Volumen (Volumen der Hirnrinde) und die Koordination sowie die Emotionsregulation nahmen bei jüngeren und älteren Erwachsenen zu [6]. 

Beeindruckend an dieser Studie ist, dass diese Veränderungen in der Struktur, Funktion und Gesundheit des Gehirns durch eine einfache tägliche Übung erreicht wurden. Wenn derartige Effekte von einem pharmazeutischen Unternehmen erzielt worden wären, würden sie zweifellos in allen Medien der Welt beworben werden. Und im Gegensatz zu den jüngsten pharmazeutischen Antikörper-Kandidaten, die bislang wenig Patientennutzen bei gleichzeitig hohem Gesundheitsrisiko durch Nebenwirkungen gezeigt haben, gab es bei dieser Atmungsintervention auch keine unerwünschten Nebeneffekte. 

Auch Sie können Ihr Herz durch gezielte Atmung mit HRV-Biofeedback in Kohärenz bringen, denn das in der Studie getestete HeartMath System ist im Handel erhältlich. Mit nur wenigen Minuten Atemtraining täglich können Sie den Stress einfach „wegatmen“ und so einen positiven Beitrag für Ihre (Gehirn-)Gesundheit leisten! 

Referenzen

  1. Mifsud, K. R., & Reul, J. M. H. M. (2018). Mineralocorticoid and glucocorticoid receptor-mediated control of genomic responses to stress in the brain. Stress (Amsterdam, Netherlands), 21(5), 389–402. https://doi.org/10.1080/10253890.2018.1456526
  2. Chu, B., Marwaha, K., Sanvictores, T., & Ayers, D. (2021). Physiology, stress reaction. In StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing. https://www.researchgate.net/publication/335925700_Physiology_Stress_Reaction
  3. Ketchesin, K. D., Stinnett, G. S., & Seasholtz, A. F. (2017). Corticotropin-releasing hormone-binding protein and stress: from invertebrates to humans. Stress (Amsterdam, Netherlands), 20(5), 449–464. https://doi.org/10.1080/10253890.2017.1322575
  4. Johansson, L., Guo, X., Hällström, T., Norton, M. C., Waern, M., Ostling, S., Bengtsson, C., & Skoog, I. (2013). Common psychosocial stressors in middle-aged women related to longstanding distress and increased risk of Alzheimer’s disease: a 38-year longitudinal population study. BMJ open, 3(9), e003142. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2013-003142
  5. Wallensten, J., Ljunggren, G., Nager, A. et al.Stress, depression, and risk of dementia – a cohort study in the total population between 18 and 65 years old in Region Stockholm. Alz Res Therapy 15, 161 (2023). https://doi.org/10.1186/s13195-023-01308-4 
  6. Bering, R., Eisbo, C., Fischer, G., & Johansen, F. F. (2005). Neurovulnerabilität der Hippokampusformation bei der Posttraumatischen Belastungsstörung. PPmP-Psychotherapie· Psychosomatik· Medizinische Psychologie, 55(02).  https://www.researchgate.net/publication/273033010_Neurovulnerabilitat_der_Hippokampusformation_bei_der_Posttraumatischen_Belastungsstorung
  7. Justice N. J. (2018). The relationship between stress and Alzheimer’s disease. Neurobiology of stress, 8, 127–133. https://doi.org/10.1016/j.ynstr.2018.04.002
  8. Yoo, H. J., Nashiro, K., Dutt, S., Min, J., Cho, C., Thayer, J. F., Lehrer, P., Chang, C., & Mather, M. (2023). Daily biofeedback to modulate heart rate oscillations affects structural volume in hippocampal subregions targeted by the locus coeruleus in older adults but not younger adults. medRxiv : the preprint server for health sciences, 2023.03.02.23286715. https://doi.org/10.1101/2023.03.02.23286715
  9. Min, J., Rouanet, J., Martini, A.C. et al. Modulating heart rate oscillation affects plasma amyloid beta and tau levels in younger and older adults. Sci Rep13, 3967 (2023). https://doi.org/10.1038/s41598-023-30167-0 
  10. Yoo, H. J., Nashiro, K., Min, J., Cho, C., Bachman, S. L., Nasseri, P., Porat, S., Dutt, S., Grigoryan, V., Choi, P., Thayer, J. F., Lehrer, P. M., Chang, C., & Mather, M. (2022). Heart rate variability (HRV) changes and cortical volume changes in a randomized trial of five weeks of daily HRV biofeedback in younger and older adults. International journal of psychophysiology : official journal of the International Organization of Psychophysiology, 181, 50–63. https://doi.org/10.1016/j.ijpsycho.2022.08.006