Man unterscheidet klinisch zwei Arten der Alzheimer-Krankheit: das frühe und späte Auftreten der Krankheit, wobei beide Typen eine genetische Komponente aufweisen.
Frühe (familiäre) Erkrankungsform
Die frühe Erkrankungsform der Alzheimer-Krankheit ist eindeutig erblich bedingt, macht aber einen nur geringen Prozentsatz aller Fälle aus. Betroffene erkranken in der Regel sehr früh, zwischen dem 30. und 65. Lebensjahr. Es sind bisher drei Gene bekannt, die für diese Form verantwortlich sind: Amyloid-Precursor-Protein (APP) auf Chromosom 21, Presenilin 1 (PSEN1) auf Chromosom 14 und Presenilin 2 (PSEN2) auf Chromosom 1. Die meisten Fälle werden durch dominant vererbte Mutationen in einem dieser drei Gene verursacht., das heißt wenn ein Elternteil betroffen ist, besteht eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ebenfalls erkranken. Diese vererbbare Form wird auch „familiäre“ Alzheimer-Krankheit genannt.
Späte (sporadische) Erkrankungsform
In ca. 99% aller Fälle tritt die Alzheimer-Erkrankung spät auf. Bei dieser spät einsetzenden Alzheimer-Krankheit zeigen sich frühestens ab 65 Jahren Symptome. Es wurde kein spezifisches Gen gefunden, das direkt für die späte Form verantwortlich ist, aber Apolipoprotein E (ApoE)-Gen auf Chromosom 19 steht in direktem Zusammenhang mit dem Erkrankungsrisiko. ApoE kodiert ein wichtiges Lipid-Trägerprotein im Gehirn, welches in drei verschiedenen Varianten (sog. Allelen) vorliegt: ApoE2, ApoE3 und ApoE4. Wie bei fast allen Genen tragen Menschen zwei Kopien von ApoE, die entweder die gleichen Varianten (z.B. ApoE4/ApoE4) oder verschiedene Varianten (z.B. ApoE3/ApoE4) sein können.
Die jeweilige Variante des ApoE bestimmt das individuelle Erkrankungsrisiko einer Person:
- ApoE2 ist relativ selten und kann einen gewissen Schutz vor der Krankheit bieten, da die Alzheimer-Krankheit bei Menschen mit diesem Allel in der Regel später im Leben auftritt als bei einem Menschen mit dem ApoE4.
- ApoE3 ist die häufigste Variante und tritt bei etwa 64 % der Bevölkerung auf und wird als normale Variante bezeichnet. Sie soll eine neutrale Rolle bei der Krankheit spielen, d.h. sie wird weder das Risiko verringern noch erhöhen.
ApoE4 erhöht – verglichen mit der am häufigsten vorkommenden ApoE3-Variante – das Alzheimer-Risiko deutlich: es ist 4-fach erhöht bei Menschen mit einer Kopie von ApoE4 und bis zu 15-fach bei Menschen mit zwei Kopien dieser Variante. Alzheimerpatienten, die ApoE4 tragen, entwickeln Symptome der Erkrankung eher früher als Träger anderer ApoE-Varianten. Lange dachte man, dass die ApoE4-Genvariante die Ablagerung von Amyloid β-Plaques und die Tau-Protein-Akkumulation begünstigt und dadurch zum schnelleren Ausbruch der Alzheimer-Krankheit beiträgt. Aber aktuelle Studien zeigen, dass ApoE4 mit dem Abbau der BHS durch eine Degeneration der Perizyten, also derjenigen Zellen, die die Hirnkapillaren umgeben und deren Integrität schützen, zusammenhängt. Interessanterweise treten diese Schäden an den Hirnkapillaren bereits ein, bevor die Kognition nachlässt.
Mechanismus der BHS-Schädigung: Die Perizyten scheiden das ApoE4-Protein aus, welches das Protein Cyclophilin A (CypA) aktiviert. Dieses löst einen nachgeschalteten Signalweg aus, der die Aktivierung der entzündlichen Proteinmatrix-Metalloproteinase-9 (MMP9) in Perizyten und möglicherweise auch in Endothelzellen beinhaltet. Dies führt über entzündliche Prozesse zu einer Unterbrechung der Übergänge zwischen benachbarten Endothelzellen, was letztendlich die Öffnung der BHS im Hippocampus zur Folge hat. Im folgenden ist der Mechanismus der Perizytenschädigung illustriert (modifiziert nach Ishii & Iadecola 2020):
Jedoch führt auch das Vorhandensein von ApoE4 nicht zum sicheren Ausbruch. ApoE4 gilt lediglich als Risikofaktor-Gen. Die Vererbung eines ApoE4 Allels bedeutet also nicht, dass eine Person definitiv Alzheimer entwickeln wird. Einige Menschen mit einem ApoE4 Allel bekommen die Krankheit nie, und andere, die Alzheimer entwickeln, haben kein ApoE4 Allel. Aber da die Schäden an den Blutkapillaren dem kognitiven Verlust vorausgehen, könnte möglicherweise eine frühzeitige Diagnose bei Menschen mit dem ApoE4-Gen über die Untersuchung der Hirngefäße erfolgen, was einen frühzeitigen Therapiebeginn ermöglichen würde.
Somit ist der überwiegende Teil der Alzheimer-Erkrankungen der späten Form zuzuordnen. Die Ursachen beinhalten neben der genetischen Komponente (Variante des ApoE-Gens) auch Umwelt- und Lebensstilfaktoren. Die frühe Form der Alzheimer-Erkrankung ist dagegen ursächlich durch genetische Ursachen geprägt. Die nachfolgende Tabelle zeigt die beiden Erkrankungsformen im Vergleich:
Die frühe Alzheimer-Erkrankung (Familiäre bzw. vererbte Form) | Die späte Alzheimer-Erkrankung (Sporadische Form) | |
Häufigkeit | selten (ca.1 Prozent aller Fälle) | sehr häufig (ca. 99% Prozent aller Fälle) |
Erkrankungsbeginn | Erkrankungsalter zwischen 30 und 65 Jahren | Erkrankungsalter ab 65 Jahren |
Beteiligte Gene | Ursächliche Mutation in einem von drei Genen: 1. Amyloid Precursor Protein APP 2. Presenilin-1 PSEN1 3. Presenilin-2 PSEN2 | Polymorphes Apolipoprotein E: Variante ApoE4 und Anzahl seiner Allele erhöhen das Erkrankungsrisiko |
Erkrankungsrisiko | Betroffene erkranken in jedem Fall (autosomal-dominanter Vererbung) | Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, erkranken aber nicht zwangsläufig |
Fazit:
Nur ein kleiner Teil der Alzheimererkrankungen ist ursächlich genetisch bedingt und löst die frühe vererbbare Form der Erkrankung aus. Der überwiegende Teil der Fälle ist der späten Erkrankungsform zuzuordnen, bei der die genetischen Risikofaktor über die Genvariante des Apolipoprotein E (ApoE) festgelegt ist, aber auch viele andere Umwelt- und Lebensstilfaktoren eine Rolle spielen. Dabei birgt die genetische Variante ApoE4 das höchste Erkrankungsrisiko. ApoE4 löst über einen Entzündungsweg eine beschleunigte Schädigung der Blut-Hirn-Schranke aus, noch bevor der Gewebeverlust im Hippokampus eintritt und die Kognition nachlässt. Diese neuen Erkenntnisse bergen womöglich die Chance einer frühzeitige Diagnose-Stellung bei ApoE4-Risikopatienten über die Hirngefäße, was einen frühzeitigen Therapiebeginn ermöglichen und einen vielversprechenden Ansatz im Kampf gegen den vorzeitigen kognitiven Verfall darstellen würde.
Referenzen:
1. Campion, D. et al (1999) Early-Onset Autosomal Dominant Alzheimer Disease: Prevalence, Genetic Heterogeneity, and Mutation Spectrum. The American Journal of Human Genetics. 65/3, 664-670
2. Corder, E.H., Saunders, A.M., Strittmatter, W.J. Schmechel, D.E., Gaskell, P.C., Small, G.W., Roses, A.D., Haines, J.L., Pericak-Vance, M.A.: Gene dose of apolipoprotein E type 4 allele and the risk of Alzheimer’s disease in late onset families. Science 261/ 5123, 921-923
3. Yamazaki, Y., Zhao, N., Caulfield, T. R., Liu, C.-C. & Bu, G. (2019): Apolipoprotein E and Alzheimer disease: pathobiology and targeting strategies. Nature Rev. Neurol. 15, 501–518
4. Montagne, A. et al. (2020): ApoE4 leads to blood–brain barrier dysfunction predicting cognitive decline. Nature 581, 71–76
5. Profaci, C. P., Munji, R. N., Pulido, R. S. & Daneman, R. (2020): The blood–brain barrier in health and disease: Important unanswered questions. J. Exp. Med. 217, e20190062
6. Ishii, M. & Iadecola, C. (2020): Lipid carrier breaks barrier in Alzheimer’s disease. Nature 581, 31-3