Bislang gibt es kein wirksames Medikament zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Die derzeit verfügbaren medikamentösen Behandlungsoptionen sind auf Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantine beschränkt, die jeweils abhängig vom Erkrankungsstadium eingesetzt werden und direkten Einfluss auf die Wirkung der Neurotransmitter im Gehirn nehmen. Es ist kaum zu glauben, aber diese pharmakologischen Ansätze beruhen noch auf den Erkenntnissen der 70er und 80er Jahre und zeigen bestenfalls eine kurzfristige Verlangsamung der Symptome. 

Schlimmer noch: Der klinische Nutzen dieser vielfach verordneten Antidementiva ist mittlerweile umstritten, da der Körper Anpassungsmechanismen entwickeln kann und die Alzheimer-Symptome beim Absetzen der Medikamente umso schneller voranschreiten. 

Aber warum sind alle pharmakologischen monokausalen Ansätze bislang gescheitert? 

Bereits im Jahr 2014 hat der US-Neurologe Dr. Dale Bredesen richtig erkannt, dass es sich bei der Alzheimer-Krankheit um eine generalisierte Stoffwechselstörung handelt, also um eine Erkrankung mit einer Vielzahl von Ursachen, denen man auch in der Therapie in ihrer Vielzahl begegnen, also multimodale Ansätze verfolgen muss [1].

Die Grundlage für die Umkehrbarkeit erklärt Bredesen wie folgt: Die Alzheimer-Krankheit entsteht nicht etwa, weil das Gehirn etwas macht, was es nicht soll, so wie es z.B. bei Krebserkrankungen der Fall ist. Nein, Alzheimer ist tatsächlich die Folge eines körpereigenen und somit auch physiologisch normalen Abbauprogrammes der Neuronen und deren Schnittstellen, der Synapsen. Nur ist bei Alzheimer dieser ‚normale’ Prozess, der eigentlich eine Schutzfunktion unseres Gehirns darstellt, vollkommen aus dem Ruder gelaufen, da das Gehirn durch zahlreiche Faktoren akut unter Stress gesetzt worden ist und sich nun verzweifelt versucht, zu schützen.

Bild 1: Das Amyloid Precursor Protein als molekularer Schalter

Die wissenschaftliche Erklärung beginnt bei dem sogenannten Amyloid Precursor Protein (APP), welches der ‚molekulare Schalter’ für den anti- oder pro-Alzheimer-Pfad darstellt (s. Bild 1). Welcher Pfad eingeschlagen wird, ist dadurch festgelegt, wie oft und an welcher Stelle APP zerschnitten wird. Diese Schneidevorgänge werden durch Enzyme, sogenannte Proteasen, bewerkstelligt, die man sich wie molekulare Scheren vorstellen muss.

Wird APP einmal geschnitten, und es entstehen zwei Fragmente, geht es in die Alzheimer-schützende Richtung. Dies führt zu einer Förderung des neuronalen Wachstums und zum Entstehen neuer Synapsen: neue Vernetzungen im Gehirn können jetzt entstehen. Wird APP dagegen dreifach geschnitten, entstehen 4 Fragmente, darunter auch das Amyloid-beta Protein, ein Bestandteil der typischen-Alzheimer Plaques. Jetzt ist der Alzheimer-fördernde Weg eingeschlagen: Es kommt zu einem Abbau des neuronalen Netzwerks mit Verlust der Synapsen und Neuronen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt dieses natürliche Gleichgewicht zwischen Anti- oder Pro-Alzheimer-Weg ins Ungleichgewicht zugunsten der hirnschädigenden Wirkung. Dies gilt es nun zu stoppen und das gesunde Gleichgewicht wiederherzustellen.

Aber die gute Nachricht ist: In der Wissenschaft ist mittlerweile bekannt, welche Risikofaktoren den Alzheimer-fördernden Weg an der Schnittstelle APP (s. Abbildung 1) einschlagen, und welche die Alzheimer-schützenden Prozesse fördern. Diese müssen bei den Patienten identifiziert werden, erstere gilt es therapeutisch verstärkt einzusetzen und letztere zu reduzieren oder gar zu eliminieren. Und dies hat Bredesen mit seinem Therapieprogramm  erfolgreich umgesetzt!

Als  Analogie nutzt Bredesen das Bild eines undichten Daches, durch das es regnet, um sich die Alzheimer-Krankheit vorzustellen: es gibt bis zu 36 Löcher im Alzheimer-Dach, die geflickt werden müssen, damit alles wieder dicht ist. Nicht jeder Patient hat die gleichen Löcher, und daher wird das Protokoll auf der Grundlage der Genetik, des aktuellen Gesundheitszustands und des Lebensstils des Patienten individuell angepasst. 

Ebenfalls im Jahr 2014 wurde Bredesens Therapiekonzept, das sogenannte ReCODE-Protokoll (‚Reversal of Cognitive Decline’ = Umkehrung des kognitiven Rückgangs) erstmals in der wissenschaftlichen Fachpresse veröffentlicht. Dieses neuartige Therapie-Konzept ist ein vielversprechender Ansatz in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit, da es eine multifaktorielle Strategie verfolgt. 

Im ReCode-Protokoll werden entsprechend der genetischen Variante des ApoE-Gens des Patienten (mehr dazu unter Genetik) und der  vorliegenden Symptomatik und Diagnostik 6 unterschiedliche Typen von Alzheimer definiert: 

  1. die entzündliche („heiße“), 
  2. die atrophische („kalte“), 
  3. die glykotoxische („süße“), 
  4. die toxische („widerwärtige“), 
  5. die vaskuläre („blasse“) und 
  6. die traumatische („benommene“) Alzheimer-Krankheit

Dabei bestimmt der jeweilige Typ letztendlich den therapeutischen Ansatz. Die Wirkung jeder Typ-spezifischen therapeutischen Strategie wird durch eine umfassende kognitive Untersuchung, eine sogenannte Kognoskopie, unter Verwendung von Bluttests, Gentests, Test des Darmmikrobioms, einfachen kognitiven Bewertungen und bildgebenden Verfahren durchgeführt. 

Die Bluttests im Rahmen der Kognoskopie umfassen zahlreiche Parameter im Blut. Durch sie können vorliegende Entzündungen, der aktuelle Zellschutz wie auch die antioxidative Kapazität des Patienten erfasst werden. Darüber Hinaus werden Stoffwechselstörungen im Rahmen des metabolischen Syndroms genau unter die Lupe genommen. Zusätzlich wird eine umfassende Analyse des Hormonstatus vorgenommen und auch die zelluläre Toxin- und Schwermetallbelastung und auch die Mineralstoffversorgung untersucht. 

Die Tatsache, dass die Bredesen-Methode auch tatsächlich wirksam und kein leeres Versprechen ist, konnte mittlerweile an einer Vielzahl von Studien belegt werden. So berichtet Dr. Bredesen 2018 von 100 erfolgreich behandelten Patienten, bei denen die Symptome der Alzheimer-Krankheit schon unterschiedlich weit fortgeschritten waren, von leichter bis mittelschwerer kognitiver Beeinträchtigung [2]

Durch Maßnahmen wie beispielsweise

  • Identifizierung und Behandlung von Krankheitserregern 
  • Reparatur einer durchlässigen Darmschleimhaut (“leaky gut”) und Verbesserung des Mikrobioms 
  • Identifizierung von Insulinresistenz und Wiederherstellung der Insulinempfindlichkeit 
  • Identifizierung und Korrektur suboptimaler Nährstoff-, Hormon- oder Neurotrophin-Unterstützung  (Neurotrophine sind körpereigene Signalstoffe, die zielgerichtete Vernetzung von Nervenzellen bewirken; z.B.: BDNF)
  • Identifizierung von Toxinen und deren Ausleitung durch Entgiftung

gelang es ihm, den Krankheitsverlauf nicht nur zu verlangsamen oder aufzuhalten, sondern auch die Symptomatik zu verbessern! 

Allerdings war in dieser Studie auch erkennbar, dass je früher das Krankheitsstadium der Patienten war, also je früher die Behandlung stattgefunden hat, umso besser der Therapieerfolg war. Das ist auch die Herausforderung, da die Alzheimer-Krankheit, deren Entstehung Jahrzehnte dauern kann, oft viel zu spät als solche erkannt wird, und die Patienten dann nicht mehr in der Lage sind, zu handeln.

Therapiestrategie nach Dr. Nehls

In Anlehnung an das ReCode-Protokoll nach Bredesen hat auch der deutsche Arzt und Molekularbiologe Dr. Michael Nehls das Thema unter der Schlagzeile ‚Alzheimer ist heilbar’ in dem gleichnamigen Buch aufgegriffen. Wie auch Dr. Dale Bredesen weist er darauf hin, dass AD eine generalisierte Stoffwechselerkrankung darstellt, die insbesondere durch eine ungesunde Lebensweise verursacht wird und der man gleichermaßen durch gesunden Lebensstil entgegenwirken kann. 

Zu seinen Kernaussagen gehören:

  • Alzheimer ist eine Mangelkrankheit
  • Alzheimer ist vermeidbar
  • Medikamente können krankheitsverursachende Mängel nicht ausgleichen
  • Eine kurative Therapie ist dennoch möglich

Dr. Bredesen wie auch Dr. Nehls haben mittlerweile auch zahlreiche Bücher zu diesem Thema veröffentlicht, die sich an den Laien richten. Sie stellen hilfreiche Ratgeber für Betroffene, Risikopatienten und Angehörige dar, und liefern wertvolle Informationen, damit auch Sie ein Leben lang geistig topfit bleiben können!

Die Literatur von Dr. Bredesen wie auch von Dr. Nehls finden Sie auf unter unseren Buchempfehlungen.

Zudem finden Sie in unserer Therapeutenliste Ärzte & Heilpraktiker, die sich an diesen beiden Behandlungsprotokollen orientieren.

Fazit:

Es gibt  zwar immer noch kein wirksames Medikament gegen die Alzheimer-Krankheit, aber mit dem multifaktoriellen therapeutischen Ansatz des US-Neurologen Dr. Dale Bredesen ist endlich ein Behandlungskonzept verfügbar, das eine individualisierte Therapie für Alzheimer-Patienten ermöglicht. Mit diesem sogenannten ReCode-Protokoll ist es bei Alzheimer-Patienten im Anfangsstadium erfolgreich gelungen, den Krankheitsverlauf aufzuhalten und sogar umzukehren. Dies macht sehr viel Mut und Hoffnung und beweist, dass die Alzheimer-Krankheit kein unvermeidbares Schicksal ist! Aber dabei nicht vergessen: je früher die Behandlung begonnen wird, umso besser das Resultat. Also gilt auch bei Alzheimer der Grundsatz: Lieber rechtzeitig handeln bevor es zu spät ist!


Referenzen:

  1. DE Bredesen (2014) Reversal of cognitive decline: A novel therapeutic program. Aging, Vol 6, 9
  2. DE Bredesen et al (2018) Reversal of cognitive decline: 100 patients. J Alzheimers Dis Parkinsonism 8, 5
  3. DE Bredesen (2018) Die Alzheimer-Revolution. mvg-Verlag, ISBN 978-3-86882-900-6