Kann Covid-19 die Alzheimer-Krankheit auslösen?

5,9 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 17. Dezember 2021Von Kategorien: Infektionen, Prävention, Ursachen

In der Alzheimer-Forschung ist mittlerweile bekannt, dass die Infektion mit bestimmten Bakterien und Viren mit der Entstehung der Alzheimer-Krankheit in Verbindung stehen kann und diese Mikroorganismen somit einen Risikofaktor für die Erkrankung darstellen können.

Aber hat auch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 Auswirkungen auf das Gehirn und die kognitiven Funktionen?

Die Frage scheint berechtigt, da Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus häufig ihren Geschmacks- und Geruchssinn verlieren, demnach SARS-CoV-2 offensichtlich in Strukturen des Nervensystems eindringt.

Forscher entdeckten in diesem Zusammenhang, dass das Corona-Virus über den Bulbus olfactorius (oder auch Riechkolben genannt) in das zentrale Nervensystem eindringt (1). Der Riechkolben ist eine neuronale Struktur des Gehirn-Vorderlappens, der an der Geruchswahrnehmung beteiligt ist. Die olfaktorischen Informationen werden von da aus zur Verarbeitung in tiefere Hirnregionen weitergeleitet, und zwar über den orbitofrontalen Kortex in die Amygdala und den Hippocampus. Diese Hirnareale spielen z.B. bei Emotionen, Gedächtnis und Lernen eine entscheidende Rolle. Hierhin könnte auch das Corona-Virus auf transsynaptischen Weg (also über die Verbindungen der Gehirnzellen) gelangen, nachdem es den Riechkolben befallen hat. Genau diese Hirnregionen sind typischerweise auch bei der Alzheimerkrankheit betroffen.

Neben den bekannten Geruchs- und Geschmacksanomalien ist auch ‚Brain Fog‘ (übersetzt ‚Hirnnebel‘) ein häufiges Symptom einer Covid-19-Infektion. Weitere Symptome reichen von Kopfschmerzen, Angstzuständen, Depressionen, Halluzinationen und lebhaften Träumen bis hin zu Schlaganfällen und Krämpfen. Eine Studie ergab, dass es bei mehr als 80% Prozent der untersuchten Covid-19-Patienten zu neurologischen Komplikationen kam (2). Weiterhin zeigt eine Studie der Universität von Michigan, dass von 150 hospitalisierten Covid-19-Patienten mehr als 70% ein Delirium erlitten, einen extremen Zustand geistiger Verwirrung und Unruhe, und das trotz starker Sedierung (Ruhigstellung) (3).

Da diese zunehmende Evidenz der Folgen von SARS-CoV-2 für das zentrale Nervensystem wichtige Fragen zu den Auswirkungen auf das Risiko eines späteren kognitiven Rückgangs, von Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen aufwirft, fordern die Forscher ein weltweites Studienprogramm, das darauf abzielt, die langfristigen Folgen von Covid-19 auf das zentrale Nervensystem besser zu verstehen (4).

Machen diese Symptome das Gehirn nun anfälliger für Alzheimer oder andere langfristige kognitive Probleme?

Wissenschaftler der Cleveland Clinic haben in Covid-19-Patienten physiologische Veränderungen identifiziert, die Parallelen zu den entzündlichen Veränderungen aufweisen, die auch bei der Alzheimer-Krankheit und anderer Arten von Demenz auftreten (5). Die Studie zeigte, dass durch die SARS-CoV-2-Infektion spezifische Alzheimer-Marker, die für die Entzündung des Gehirns verantwortlich sind, signifikant verändert wurden. Auch waren bestimmte virale Eintrittsfaktoren in den Zellen der Blut-Hirn-Schranke stark erhöht. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Virus mehrere Signalwege beeinflussen kann, die an der Entzündung der Nervenzellen (Neuroinflammation) und der Schädigung der kleinen Blutgefäße im Gehirn beteiligt sind, was die Alzheimer-ähnlichen kognitiven Beeinträchtigungen erklären würde.

Weiterhin fanden die Forscher in dieser Studie heraus, dass Menschen mit dem genetischen Variante ApoE, einem genetischen Risikofaktor für Alzheimer, weniger aktive antivirale Abwehrgene besitzen und sie deshalb weniger vor Covid-19 geschützt sind.

Wie genau gelangt SARS-CoV-2 in die Nervenzellen?

Man weiß längst, dass SARS-CoV-2 über eine molekulare Eintrittspforte, die als Angiotensin-Converting-Enzyme-2 (ACE2)-Rezeptor bezeichnet wird, in die Zellen der unteren Atemwege gelangt. Auch Nervenzellen im Gehirn (Neuronen) und die Astrozyten (Zellen im Gehirn und Rückenmark, die Neuronen unterstützen und schützen) besitzen diese ACE2-Rezeptoren und könnten durch das Virus befallen werden, wie Experimente in Zellkulturen zeigen.

Bereits im Jahr 2020 schlug eine Forschergruppe vor, dass zusätzlich auch ein bestimmter Oberflächenrezeptor namens Neuropilin1(kurz NRP1), der auf Nervenzellen des Gehirns und der Riechbahn vorkommt, eine wichtige Rolle spielen könnte (6): Das Oberflächenprotein von SARS-CoV-2, auch Spike-Protein genannt, kann durch das körpereigene Enzym Furin, das in den Atemwegen vorkommt, gespalten werden. Dadurch entsteht ein kleineres Protein, das an den NRP1-Rezeptor binden und somit dem Virus einen Weg in die Zelle öffnen kann. Dies könnte SARS-CoV-2 den Eintritt in diejenigen Zellen erleichtern, die neben ACE2 noch einen Rezeptor für NRP1 auf ihrer Oberfläche haben. NRP1 wird in vielen menschlichen Geweben einschließlich der Atemwege, Blutgefäße und Neuronen gebildet. Eine besonders hohe Konzentration findet sich im Riechepithel. Der Zelleintritt über NRP1 könnte insbesondere bei SARS-CoV-2 dafür verantwortlich sein, warum es bei der Infektion zu der breiten Palette an neurologischen Symptomen kommt. Aber ob SARS-CoV-2 tatsächlich diesen Weg nimmt, ist nicht endgültig geklärt.

Was man allerdings jetzt schon sicher über den Zusammenhang mit Covid-19 und Alzheimer weiß?

Eine SARS-CoV-2-Infektion kann eine massive Freisetzung von entzündlichen Botenstoffen wie Zytokinen, Chemokinen und anderen Entzündungssignalen auslösen, die zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke, einer Verletzung von Astrozyten, einer Aktivierung von Mikroglia (Immunzellen des Gehirns) und damit zu einer Neuroinflammation und zum Absterben von Neuronen führen kann (7). Eine länger bestehende Entzündung im Gehirn kann durch die Überaktivierung der Mikroglia (Immunzellen im Gehirn) zur Bildung der Alzheimer-typischen Plaques führen. Auf diese Weise können die Immunreaktion und die übermäßige Entzündung bei Covid-19 auch das Fortschreiten der entzündlichen Neurodegeneration des Gehirns beschleunigen; ältere Menschen sind nach einer SARS-CoV-2-Infektion anfälliger für schwere Demenz-Verläufe.

Das alles zeigt uns, wie wichtig es ist, sich vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen, aber auch den Körper gleichzeitig durch einen gesunden Lebensstill zu stärken und ihn somit gegen einen derartigen viralen Angriff gut zu wappnen. Denn wenn das Virus auf einen immun-gesunden ‚Wirt‘ stößt, sind die Chancen auf einen leichteren Krankheitsverlauf und somit auch die möglichen Auswirkungen auf die Hirngesundheit sicherlich günstiger!

Fazit:

Die Ergebnisse aktueller Studien sind bei weitem nicht endgültig und es sind immer noch sehr viele Fragen über die Rolle von Covid-19 bei der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit offen. Allerdings besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dass das Virus über das Riechepithel Zugang zum zentralen Nervensystem erlangt und neuronale Symptome wie Hirnnebel und anderen kognitiven Komplikationen auslösen kann. Da Träger der genetischen Variante ApoE4 möglicherweise weniger vor Covid-19 geschützt sind, sollten diejenigen, in deren Familie die Alzheimer-Krankheit vorkommt, sich in besonderem Maße vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützen. Aber es wäre an dieser Stelle falsch, in Panik zu geraten, da dies wiederum zur Ausschüttung von Stresshormonen führt, die ihrerseits wieder das Immunsystem herunterregulieren. Denn nur dort, wo das Virus auf einen immunschwachen ‚Wirt‘ stößt, kann es auch wüten!

Deshalb sollten Sie den nötigen Respekt vor dem Virus bewahren und neben den vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen Ihr Immunsystem durch einen gesunden Lebensstil stärken, um Ihren Körper einen besseren Schutz vor einer schwerwiegenden Infektion geben. Versuchen Sie unbedingt, Entzündungen in Ihrem Körper mit Hilfe von gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf, körperlicher Bewegung und Stressreduktion zu reduzieren. Dies kann nicht nur Ihr Immunsystem gegen Viren aller Art stärken, sondern auch Ihr Gehirn vor Gedächtnisverlust schützen!

In diesem Zusammenhang ist auch ein Gespräch zwischen Prof. Spitz und Apotheker Gröber sehens- und hörenswert, in dem es um das Thema Corona, Influenza & Co – Wie stärke ich meine Abwehrkräfte geht.

 

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Referenzen:

  1. Butowt R, Bilinska K. (2020) SARS-CoV-2: olfaction, brain infection, and the urgent need for clinical samples allowing earlier virus detection. ACS Chem Neurosci.11(9):1200-1203
  2. Liotta EM, Batra A, Clark JR, Shlobin NA, Hoffman SC, Orban ZS, Igor J Koralnik IJ (2020) Frequent neurologic manifestations and encephalopathy-associated morbidity in Covid-19 patients. Ann Clin Transl Neurol. Nov 7(11):2221-2230. doi: 10.1002/acn3.51210.
  3. Ragheb J, McKinney A, Zierau M, Brooks J, Hill-Caruthers M, Iskander M, Ahmed Y, Lobo R, Mentz L, Vlisides PE (2021) Delirium and neuropsychological outcomes in critically Ill patients with Covid-19: a cohort study BMJ Open Sep17;11(9):e050045. DOI: 10.1136/bmjopen-2021-050045
  4. Gabriel A. de Erausquin, Heather Snyder, María Carrillo, Akram A. Hosseini, Traolach S. Brugha, Sudha Seshadri, the CNS SARS-CoV-2 Consortium(2021) The chronic neuropsychiatric sequelae of Covid-19: The need for a prospective study of viral impact on brain functioning. Alzheimer’s Dement.17:1056–1065. DOI: 10.1002/alz.12255
  5. Yadi Zhou Y, Jielin Xu J, Hou Y, Leverenz JB, Kallianpur A, Mehra R, Liu R, Yu H, Pieper AA, Jehi L, Cheng F (2021) Network medicine links SARS-CoV-2/Covid-19 infection to brain microvascular injury and neuroinflammation in dementia-like cognitive impairment. Alzheimers Res Ther 9; 13(1): 110. DOI: 10.1186/s13195-021-00850-3
  6. Cantuti-Castelvetri, R Ojha, LD Pedro et al. (2020) Neuropilin-1 facilitates SARS-CoV-2 cell entry and infectivity. Science 13 Nov Vol 370, 6518, pp. 856-860, DOI: 10.1126/science.abd2985
  7. Bhaskar S, Sinha A, Banach M, et al. (2020) Cytokine storm in Covid-19- immunopathological mechanisms, clinical considerations, and therapeutic approaches: the REPROGRAM consortium position paper. Front Immunol. 11:1648. https://doi.org/10.3389/fimmu.2020.01648

 

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