Aktuelle Studie zeigt: Antikörpermedikamente gegen Alzheimer lassen das Gehirn schrumpfen

4,1 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 5. Juli 2023Von Kategorien: Behandlungsformen, Medikamente, Ursachen

Nach der Zulassung der neuen Alzheimermedikamente Aducanumab im Jahr 2021 und Lecanemab Anfang 2023 durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, steht nun der dritte Anti-Amyloid-Antikörper, namens Donanemab, kurz vor der Markteinführung. So gab der Pharmakonzern Eli Lilly kürzlich vorläufige Ergebnisse zur TRAILBLAZER-ALZ-2-Studie mit Donanemab in einer Pressemitteilung bekannt. Wie seine „Vorgänger“ zeigte sich auch dieser Antikörperwirkstoff effektiv in der Beseitigung der Alzheimer-spezifischen Amyloid-beta (Aβ)-Ablagerungen (auch als senile Plaques bezeichnet) und bewirkte eine langsamere Verschlechterung der klinischen Symptome bei Patienten im frühen Krankheitsstadium im Vergleich zu unbehandelten Alzheimerpatienten [1].

Experten in der Alzheimer Forschung sehen die Antikörpermedikamente dagegen eher kritisch. Trotz nachgewiesener Reduktion der Aβ-Ablagerungen bleibt der Nutzen für den Patienten fragwürdig, da ein Aufhalten oder eine Linderung der Erkrankung bislang mit keinem Antikörper, auch nicht mit Donenamab, gelungen ist. Die Verschlechterung des kognitiven Verfalls wird in allen Fällen geringfügig verlangsamt, aber nicht gebremst. Die nachgewiesene “Wirksamkeit“ im Hinblick auf die Reduktion der senilen Plaques ist zudem mit schwerwiegenden, zum Teil tödlichen, Nebenwirkungen teuer erkauft.

Diese Nebenwirkungen, in der Fachwelt als ARIA (Amyloid-Related Imaging Abnormalities) bezeichnet, machen sich als unerwünschte Veränderungen in MRT-Scans bemerkbar und treten bei allen Anti-Amyloid-Antikörpern auf. Bei den mit Donanemab behandelten Patienten beobachteten die Studienärzte ARIA in Form von Hirnödemen (Flüssigkeitsansammlung im Gehirn) bei 24,0 % der Probanden und Hirnblutungen bzw. Eisen-Ablagerungen bei 31,4 % der Probanden, die in einigen Fällen sogar tödliche Folgen hatte. Aber selbst, wenn die ARIA klinisch harmloser verlaufen, bedeutet dies für die behandelnden Ärzte einen enormen diagnostischen Mehraufwand, der mit hohen Zusatz-Kosten – und nicht zuletzt für die Patienten mit immensem Stress – verbunden ist.

Die ARIA scheinen nicht die einzige Nebenwirkung dieser Wirkstoffe zu sein, wie eine australische Forschergruppe in einer aktuellen Studie herausgefunden hat. In dieser Studie haben Wissenschaftler  die Nebenwirkungen der Anti-Aß-Antikörpermedikamente (also ihr Potenzial, ARIA auszulösen) und ihre Wirkung auf das Hirnvolumen unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse  dieser wissenschaftlichen Studie wurden Anfang des Jahres 2023 in dem medizinischen Fachjournal Neurology veröffentlicht [2] und werden nachfolgend beschrieben.

Die Autoren suchten in klinischen Studien systematisch nach Patienten, die an randomisiert kontrollierten Studien zu Aß-Antikörper-Medikamenten teilnahmen. Dabei war ein wichtiges Suchkriterium, dass detaillierte MRT-Daten (Hirnbilder der Patienten) vorlagen. Damit sollten Gehirnvolumen-Veränderungen in Alzheimer-typischen Regionen wie dem Hippocampus (Ort des episodischen Gedächtnisses) und den Seitenventrikeln (Hohlräume des Gehirns, die Flüssigkeit enthalten) wie auch das Schrumpfen des gesamten Gehirnvolumens (Hirnatrophie) erfasst werden.

Die Metaanalyse der höchsten Medikamentendosis ergab, dass während der Behandlung mit den Medikamenten eine Beschleunigung der Hirnatrophie stattfand, die je nach Klasse der Anti-Aß-Medikamente variierte. Während die Wirkstoffgruppe der Sekretase-Hemmer (Alzheimer-Arzneimittel) dabei vorwiegend das Schrumpfen des Hippocampus beschleunigte, vergrößerten alle ARIA- auslösenden monoklonalen Antikörper die Ventrikelgröße. Dabei gab es eine auffällige Korrelation zwischen dem vergrößerten ventrikulären Volumen und der ARIA-Häufigkeit. Die Wirkung auf das Gesamtvolumen war insbesondere Donanemab und Lecanemab deutlich: sie beschleunigten den Verlust des Gehirngewebes im bei den behandelten Patienten im Vergleich zu den unbehandelten Patienten um ca. 5 cm3. Die Autoren konnten auch nachweisen, dass dieser Gewebsverlust nicht auf den volumenbedingten Verlust der (entfernten) Aß-Ablagerungen zurückgeführt werden kann.

Die Forscher prognostizierten, dass die Behandlung mit diesen Medikamenten eine substanzielle Rückbildung auf ein für die Alzheimer-Demenz typisches Hirnvolumen bewirken könnte, die ungefähr acht Monate früher als bei unbehandelten Teilnehmern einsetzen wird.

Paradoxerweise fand das australische Forscherteam somit heraus, dass mit der Hirnatrophie das strukturelle Kardinalsymptom der Alzheimererkrankung durch alle Vertreter dieser Medikamentengruppe gefördert wird. Da die Hirnschrumpfung insbesondere bei den Patienten mit den Nebenwirkungen beschleunigt war, ist mehr als besorgniserregend, da ungefähr ein Viertel der Patienten unter Hirnödemen und ca. ein Drittel unter Hirnblutungen litt. Somit wäre ungefähr die Hälfte der Teilnehmer von der Atrophie betroffen. Auch wenn es kaum zu glauben ist: diese arzneimittelbedingten Hirnatrophie und somit nachteilige Auswirkungen der Anti-Aß- Medikamente für die Gesundheit des Gehirns wurden bislang in den klinischen Studien weder erwähnt noch untersucht.

Die Wissenschaftler richteten daher einen dringenden Appell an alle beteiligten Gremien, an die Pharmaindustrie und auch die behandelnden Ärzte: Bei der Behandlung von Alzheimer-Patienten mit ARIA-auslösenden Aß-Antikörpern sollte in Zukunft unbedingt auf diese Volumenänderungen geachtet werden und diese Medikamente sollten auch nur unter kritischer Abwägung des Kosten-Nutzens eingesetzt werden. Bei „Kompetenz statt Demenz“ können Sie diese Empfehlungen nochmals im Detail nachlesen.

Fazit:

Mit Donanemab steht der dritte Anti-Aß-Antikörper kurz vor der Zulassung als Alzheimermedikament. Aber auch dieses als „Wunderpille“ angepriesene Mittel ist nicht in der Lage, die Alzheimererkrankung zu bremsen. Vielmehr traten auch unter der Behandlung eine enorm hohe Rate schwerwiegender Nebenwirkungen auf, kurz als ARIA bezeichnet. Diese bringen neben dem hohen gesundheitlichen Gefährdungspotential auch weitere Probleme, wie kostenintensive diagnostische Überwachung und Stressbelastung der Patienten, mit sich.

 Schlimmer noch: ein australisches Forscherteam hat über die bildgebenden Daten der klinischen Studien herausgefunden, dass ein Abbau des Hirnvolumens durch alle Vertreter dieser Medikamentengruppe gefördert wird – eine Beobachtung, die in den klinischen Studien nicht einmal erwähnt wird. Dies ist äußerst besorgniserregend, da der Verlust von Hirngewebe die Ursache des kognitiven Verfalls bei Alzheimer ist und Volumen-Änderungen ein objektiver Beweis für das Fortschreiten der Krankheit sind. Hirnschädliche Langzeitfolgen dieser Therapien sind also unbekannt!

 Vor dem Hintergrund, dass wirksame, nebenwirkungsfreie und deutlich weniger kostenintensive Lebensstil-orientierte Präventions- und Therapiekonzepte zur Verfügung stehen, scheint dies geradezu paradox. Zum Glück haben Sie mit diesem Wissen und der Information von „Kompetenz statt Demenz“ die Wahl, sich für die richtige Therapie für Ihre geistige Gesundheit zu entscheiden!

Referenzen:

    1. Lilly‘s Donanemab Significantly Slowed Cognitive and Functional Decline in Phase 3 Study of Early Alzheimer‘s Disease. Pressemitteilung Eli Lilly vom 3. Mai 2023
    2. Alves F, Kalinowski P, Ayton S. Accelerated Brain Volume Loss Caused by Anti-β-Amyloid Drugs: A Systematic Review and Meta-analysis. Neurology. 2023 May 16;100(20):e2114-e2124. doi: 10.1212/WNL.0000000000207156. Epub 2023 Mar 27. PMID: 36973044; PMCID: PMC10186239.

Bildquellen:

Beitragsbild von Christina Victoria Craft auf Unsplash

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