Neue Studie löst Rätsel um absterbende Hirnzellen bei der Alzheimer-Erkrankung

4,4 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 1. November 2023Von Kategorien: Behandlungsformen, Prävention, Ursachen

Die Alzheimer Zahlen erreichen Rekordhöhe, aber noch immer gibt es kein Medikament, das die Alzheimer-Erkrankung heilen oder aufhalten kann. Auch die neuesten Arzneimittelentwicklungen gegen Alzheimer können die Symptome bestenfalls etwas lindern. Der geistige Verfall schreitet dennoch fort, und das mit z.T. fatalen Nebenwirkungen bei enormen Therapiekosten.  

Es ist mittlerweile hinreichend bekannt, dass bei dieser gefürchteten Erkrankung die Neuronen (Nervenzellen) im Gehirn, insbesondere in der Region des Hippocampus (Ort des episodischen Gedächtnisses) absterben. Deswegen lässt eine Nachricht aus der Presse aufhorchen: Forscher aus Belgien haben die Ursache dieses Zellsterben genauer untersucht und sind den zugrunde liegenden Mechanismen auf die Spur gekommen.  

Ein neuartiges Alzheimer-Tiermodell 

Ein in der Alzheimer-Forschung häufig verwendetes Tiermodell sind Mäuse, denen der für die familiäre Alzheimer-Krankheit verantwortliche Gendefekt „eingebaut“ wurde. Diese Tiere entwickeln recht bald die Alzheimer-spezifischen Ablagerungen (Aβ-Plaques). In den Nervenzellen dieser Mäuse finden jedoch nicht alle Stadien des Krankheitsprozesses statt. Dazu gehört die Bildung neuronaler Knäuel aus Tau-Protein sowie der extreme Untergang der Nervenzellen. Aus diesem Grund war dieses Tiermodell für die Erforschung der Alzheimer-Krankheit bisher nur von begrenztem Nutzen. 

Ein belgisches Forscherteam hat dieses Alzheimer-Tiermodell weiterentwickelt [1]. Die Wissenschaftler implantierten humane neuronale Stammzellen (Vorläufer von menschlichen Nervenzellen) ins Gehirn der Alzheimer-Mäuse. Die menschlichen Neuronen differenzierten und integrierten sich vollständig im Gehirn der Tiere, das heißt, die menschlichen Nervenzellen arbeiteten ab diesem Zeitpunkt normal im Nervensystem der Mäuse. Mit Beginn der Erkrankung waren sie nach kurzer Zeit bereits den (von den Mäuse-Neuronen produzierten) Aβ-Ablagerungen und der damit verbundenen Gehirnentzündung (Neuroinflammation) ausgesetzt. Daraufhin bildeten sich sechs Monate später die schädlichen Tau-Knäuel. Dies geschah interessanterweise nur in den menschlichen Neuronen, die ins Gehirn der Maus eingesetzt wurden. Den Autoren zufolge deutet das darauf hin, dass Aβ die Tau-Verklumpung früh anregt und dass dieser Prozess eine menschliche Besonderheit darstellt. Die Bildung der Tau-Fibrillen führte schließlich auch zu dem Absterben menschlichen Nervenzellen. 

In diesem chimären (aus Zellen/Geweben unterschiedlicher Individuen bestehend) Tiermodell entwickelten die menschlichen Neuronen in den Gehirnen der Mäuse somit das volle Spektrum der Alzheimerkrankheit. Denn sie zeigten neben Aβ-Plaques und Neuroinflammation auch schädliche Tau-Fibrillen und hohes Maß an Neurodegeneration. Dieses neuartige Alzheimer-Tiermodell ist aufgrund dieser Eigenschaften prädestiniert für mechanistische Untersuchungen.  Die Forschergruppe ging nun der Frage nach, wie die Neuronen bei Alzheimer absterben. Die Ergebnisse dieser Studien wurden kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht. 

Das Molekül MEG3 treibt das Zellsterben, die Nekroptose, an

Auch in diesen Untersuchungen zeigten nur die menschlichen Neuronen in den chimären Alzheimermäusen Krankheitsmarker wie Tau-Knäuel, und sie starben vermehrt ab. Mittels RNA-Sequenzierung (Bestimmung der RNA-Bausteine) gelang es den Wissenschaftlern, das Schlüsselmolekül, eine RNA-Struktur mit dem Namen MEG3 (Maternally Expressed 3) zu identifizieren. Man weiß, dass Moleküle dieser Art die Genaktivität steuern, und die Hirnalterung und damit auch neurodegenerative Erkrankungen beeinflussen. MEG3 war in den menschlichen „erkrankten“ Neuronen in den Mäusehirnen um das Zehnfache erhöht und wurde zudem auch in großen Mengen in den Nervenzellen von verstorbenen Alzheimer-Patienten gefunden. Auch wenn man dieses Molekül zu „lebenden“ humanen Hirnzellen im Reagenzglas hinzufügt, sterben diese Zellen ab. MEG3 scheint demnach der Auslöser für eine Form des programmierten Zelltods (Nekroptose) zu sein, die zum Absterben menschlicher Nervenzellen führt [2].  

 MEG3-Blocker als neue Medikamentengruppe? 

Derartige Studien sind wichtig, um die Mechanismen, die diesem neuronalen Tod zugrunde liegen, genau zu verstehen. Die Autoren schlussfolgern, dass MEG3 zu einem wichtigen Ziel für zukünftige Forschung und Therapien sein könnte, die darauf abzielen, den Tod von Neuronen bei Patienten mit Alzheimer-Krankheit zu verhindern. Sie denken, dass man aufgrund dieser Daten eine neue Sorte von Alzheimer-Medikamenten entwickeln könnte: MEG3-Blocker.  

Aber bis dahin ist noch einiges an Forschungsaufwand nötig: die Befunde aus dem Tiermodell können nicht direkt auf den kompletten Organismus des Menschen übertragen werden. Außerdem kann von der im Mausmodell induzierten familiären Alzheimererkrankung nicht direkt auf die sporadische (oder späte) Alzheimererkrankung geschlossen werden. Letztere Form stellt mit ca. 99% aller Fälle die häufigste Form der Alzheimererkrankung dar (mehr Infos finden Sie hier).  

Ob MEG3-Blocker die zukünftige Wunderpille gegen Alzheimer sein werden, oder eher nur eine weitere uneffektive symptomatische Therapie wie die Antikörpermedikamente darstellen, bleibt also abzuwarten.  

Was man aber bereits jetzt schon mit Sicherheit weiß, dass die ersten molekularen Veränderungen im Gehirn bei der Alzheimer-Krankheit lange vor dem Auftreten klinischer Symptome stattfinden. Die wirksamste Strategie im Kampf gegen diese verheerende Krankheit ist die frühzeitige Prävention durch einen gesunden Lebensstil.

Lesen Sie gerne bei der „Kompetenz statt Demenz“, wie Sie durch einfache Maßnahmen wie Ernährungsoptimierung, mehr Bewegung, verbesserten Schlaf, Ausgleich von Mikronährstoffmängeln, mehr sozialer Aktivität, Gehirntraining und verbesserter Stressbewältigung selbst ihre geistige Gesundheit in die Hand nehmen können! 

Fazit: 

Die Alzheimer-Krankheit bleibt für die wissenschaftliche Gemeinschaft ein Rätsel, doch eine kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichte Studie wirft neues Licht auf die zugrunde liegenden Mechanismen dieser verheerenden Krankheit. 

Mithilfe eines neuartigen chimären Alzheimer-Mausmodells, mit dem man das volle Spektrum der Alzheimerkrankheit untersuchen kann, konnte das Molekül MEG3 identifiziert werden, welches in menschlichen Neuronen eine Art Zelltod namens „Nekroptose “ auszulösen vermag. Die Autoren schlussfolgern, dass die Nekroptose der Anhäufung von pathologischem Tau-Protein folgt und durch eine Anhäufung von MEG3 ausgelöst wird und dass es eine therapeutische Zielstruktur in der Zukunft sein könnte. Bis dahin sind allerdings noch viele weitere Studien erforderlich.  

Bis dahin können Sie bei der „Kompetenz statt Demenz“ erfahren, wie Sie durch einfache lebensstilorientierte Maßnahmen ihre geistige Gesundheit bereits jetzt in die Hand nehmen können! 

Referenzen:

  1. Espuny-Camacho, I., Arranz, A. M., Fiers, M., Snellinx, A., Ando, K., Munck, S., Bonnefont, J., Lambot, L., Corthout, N., Omodho, L., Eynden, E. V., Radaelli, E., Tesseur, I., Wray, S., Ebneth, A., Hardy, J., Leroy, K., Brion, J.-P., Vanderhaeghen, P., & Strooper, B. D. (2017). Hallmarks of Alzheimer’s Disease in Stem-Cell-Derived Human Neurons Transplanted into Mouse Brain. Neuron, 93(5), 1066-1081.e8. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2017.02.001
  2. Balusu, S., Horré, K., Thrupp, N., Craessaerts, K., Snellinx, A., Serneels, L., T’Syen, D., Chrysidou, I., Arranz, A. M., Sierksma, A., Simrén, J., Karikari, T. K., Zetterberg, H., Chen, W.-T., Thal, D. R., Salta, E., Fiers, M., & De Strooper, B. (2023). MEG3 activates necroptosis in human neuron xenografts modeling Alzheimer’s disease. Science, 381(6663), 1176–1182. https://doi.org/10.1126/science.abp9556

Bildquellen:

Foto von Pixabay: https://www.pexels.com/de-de/foto/weisse-babymaus-159483/

 

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