Kälte als Prävention gegen den kognitiven Verfall
Eisbaden und Kältetherapie erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, und das aus gutem Grund. Kälte bietet eine Vielzahl gesundheitsfördernder Effekte wie Entzündungshemmung, Schmerzlinderung, Muskelregeneration, Stressabbau und Stärkung des Immunsystems. Nun gibt es aber auch neue Hoffnungen in der Demenzforschung: Das so genannte Kälteschockprotein RBM3, das bei niedrigen Temperaturen vermehrt gebildet wird, zeigt erstaunliche neuroprotektive Eigenschaften. Aber kann Kälte tatsächlich der Schlüssel zur Behandlung von Demenzerkrankungen sein?
Was ist das Kälteschock Protein RBM3?
Das Kälteschockprotein verdankt seinen Namen der Tatsache, dass es bei Kälteexposition vermehrt gebildet wird, und das, obwohl Proteinsynthese und Stoffwechsel unter derartigen Bedingungen herunterreguliert werden. Das Protein RBM3 kommt in einer Vielzahl von Organismen vor, darunter Insekten, Amphibien, Fische, Vögel, Pflanzen und vor allem Säugetiere, einschließlich des Menschen.
Besonders auffällig ist die starke Expression von RBM3 in bestimmten Bereichen des Hippocampus, einer Region im Gehirn, die das episodische Gedächtnis bildet, und die bei der Alzheimererkrankung zuerst betroffen ist. Im Hippocampus spielt das Kälteschockprotein eine wichtige Rolle bei der Zellvermehrung und Zellspezialisierung. Auch in neu gebildeten Nervenzellen wurde eine hohe Ausschüttung von RBM3 festgestellt [1]. Auf diese Weise könnte RBM3 ein Schutzprotein für die vulnerable Hippocampusregion darstellen.
Die Rolle von RBM3 im Gehirn
Wissenschaftler haben anhand von Zellkultur- und Tierstudien herausgefunden, dass RBM3 über verschiedene Mechanismen neuroprotektiv wirken kann.
Zum einen kann das Protein die Selbsterneuerung und die Bildung von neuronalen Stamm- und Vorläuferzellen aufrechterhalten und so die Gesamtzahl der neuronalen Zellen bewahren. RBM3 beeinflusst weiterhin auch die Funktionen von Nervenzellen, indem es die für die Proteinbildung notwendige Prozesse (Transkription und Translation) verbessert. Außerdem ist es in der Lage, die Anzahl der Synapsen (Verbindungsstellen von Nervenzellen) zu modulieren, synaptische Verbindungen zu reorganisieren und dem Verlust von Synapsen entgegenzuwirken. Darüber hinaus kann RBM3 die Selbstzerstörung von Nervenzellen reduzieren und bestimmte Enzyme hemmen, die für die Bildung von ß-Amyloid-Plaques verantwortlich sind [1]. Dies könnte den präventiven Effekt von RBM3 gegenüber Neurodegeneration mechanistisch erklären.
Kälteschockprotein trifft auf Alzheimer-Forschung
Es ist seit langem bekannt, dass während des Winterschlafs bei Säugetieren eine Reorganisation der synaptischen Kontakte (eine Form der strukturellen Plastizität) stattfindet. Dieses Phänomen konnte nun auch bei Nagetieren durch künstliche Unterkühlung (Hypothermie) und Wiedererwärmung induziert werden. Während des Winterschlafs und bei künstlicher Kälteexposition werden zudem eine Reihe von Kälteschockproteinen im Gehirn dieser Tiere gebildet, darunter auch RBM3.
Auf der Basis dieses Wissens haben Forscher der Universität Cambridge Prionen-infizierte Mäuse (die eine Alzheimer-ähnliche Krankheit entwickeln) und genetisch veränderte Alzheimer-Mäuse (die die familiäre Alzheimer-Krankheit entwickeln) einer Unterkühlung (Hypothermie) ausgesetzt. Nach dem Kälteeinwirkungsprozess hatten die Mäuse Zeit, sich wieder aufzuwärmen. Dabei kamen die Forscher zu spannenden Ergebnissen:
In beiden Mausmodellen konnte dadurch der vorzeitige Verlust von Synapsen gestoppt werden, der normalerweise durch ihre Erkrankung (Prionen-infekt oder Alzheimer-Erkrankung) stattfinden würde. Dabei korrelierte die Regenerationsfähigkeit der Synapsen nach Abkühlung deutlich mit dem Verlust der Fähigkeit, RBM3 auszuschütten. Eine vermehrte Bildung von RBM3 im Hippocampus bewahrte die Fähigkeit zur Synapsenregeneration nach dem Abkühlen, während ein Ausfall der RBM3-Stressantwort die synaptischen Verluste nicht mehr ausgleichen konnte [2].
Somit konnten die Forscher zeigen, dass ein Anstieg von RBM3 als Reaktion auf Kälteexposition sowohl bei Alzheimer-Mäusen als auch bei Prionen-infizierten Mäusen zu einem anhaltenden synaptischen Schutz führt. Dadurch wurden Verhaltensdefizite und neuronale Verluste verhindert und die Überlebenszeit signifikant verlängert. Im Gegensatz dazu verstärkte die fehlende Bildung von RBM3 den synaptischen Verlust in beiden Tiermodellen, beschleunigte die Krankheit und verhinderte die neuroprotektiven Effekte der Hypothermie. Die Autoren schließen daraus, dass eine unzureichende Synapsenregeneration, die offenbar auch durch das Versagen der Stressantwort von RBM3 vermittelt wird, zu einer verminderten strukturellen Plastizität führt. Dies wiederum kann zum Verlust von Synapsen und damit zu neurodegenerativen Erkrankungen führen [2].
Falls Sie noch tiefere wissenschaftliche Einblicke in diese Studien haben möchten, können Sie sich den Videobeitrag der Forschungsgruppe anschauen.
Fazit:
Die vermehrte Produktion des Kälteschockproteins RBM3 durch Kälteexposition zeigt in Zellkultur- und Tierstudien vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich des Schutzes von Nervenzellen und Synapsen. Diese positiven Ergebnisse lassen vermuten, dass die Kältetherapie auch beim Menschen eine nebenwirkungsarme Schutzbehandlung bei neurodegenerativen Erkrankungen darstellen könnte. Auch wenn die Übertragbarkeit dieser Studien auf den Menschen noch nicht gesichert ist, gibt es inzwischen zahlreiche Hinweise aus der Erfahrungsmedizin, dass Kälteexposition auch für den menschlichen Organismus einen enormen gesundheitlichen Nutzen haben kann. Beginnen Sie einfach mit Wechselduschen oder täglich zwei Minuten kalt duschen!
Im Zusammenhang mit Eisbaden ist auch ein Gespräch zwischen Prof. Spitz und Dr. Matthias Wittfoth sehens- und hörenswert, in dem es um das Thema Kälte & Atmung als Lebenselixier geht.
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Referenzen
- Hu, Y., Liu, Y., Quan, X., Fan, W., Xu, B., & Li, S. (2022). RBM3 is an outstanding cold shock protein with multiple physiological functions beyond hypothermia. Journal of Cellular Physiology, 237(10), 3788–3802. https://doi.org/10.1002/jcp.30852
- Peretti, D., Bastide, A., Radford, H., Verity, N., Molloy, C., Martin, M. G., Moreno, J. A., Steinert, J. R., Smith, T., Dinsdale, D., Willis, A. E., & Mallucci, G. R. (2015). RBM3 mediates structural plasticity and protective effects of cooling in neurodegeneration. Nature, 518(7538), 236–239. https://doi.org/10.1038/nature14142
Bildquellen:
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