Neuer Fokus in der Demenzforschung: Hochverarbeitete Lebensmittel als Risikofaktor
Die ernährungsbezogene Demenzforschung hat in den letzten Jahren eine Flut von vielversprechenden Daten generiert, wobei in den Studien eher die Qualität der Ernährung aufgrund der Menge bestimmter Nährstoffe oder Inhaltsstoffe (z. B. Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien, usw.) oder aufgrund von Ernährungsmustern (z. B. der Mittelmeer- oder MIND-Diät, die einen hohen Obst- und Gemüsekonsum, Vollkornprodukte usw. empfehlen) im Vordergrund stand und deren potentiell positiven Auswirkungen auf die Hirngesundheit ermittelt wurden. In jüngster Zeit hat sich die Ernährungsweise bei vielen Menschen verändert, und Forscher fangen an, sich auf eine andere Komponente der Ernährung zu konzentrieren: Hochverarbeitete Nahrungsmittel (engl: Ultra-processed Food) auch als Fast Food bezeichnet, und die damit verbundene Gefahr (nicht nur) für die neuronale Gesundheit.
Was genau sind “hochverarbeitete Nahrungsmittel”?
Hierbei handelt (neben dem schnellen Burger von diversen Gastro-Ketten) um einen Großteil der Lebensmittel in unseren Supermärkten. Darunter fallen alle Lebensmittel, die als Fertigprodukt oder abgepackte Ware in den Regalen erhältlich ist. Dazu zählen z.B. alle Fertiggerichte und verpackte Backwaren, Instant-Nudelgerichte, Hotdogs, Wurstwaren, Fertig-Saucen wie Ketchup und Mayonnaise, Soßen, Knabbergebäck wie Chips, Flips und Cracker, Süßigkeiten, Eiscreme, Frühstückcerealien und Limonaden.
Für diese Gruppe ist charakteristisch, dass die Lebensmittel einen extrem hohen Fett- und/oder Zuckergehalt aufweisen, wobei meist zusätzlich Zucker in Form von Fruktose-haltigen Sirups zugesetzt wird. Die wertvollen Lebensmittelinhaltsstoffe hingegen wie Protein, Ballaststoffe, Mikronährstoffe und die schützenden sekundären Pflanzenstoffe wurden diesen Lebensmitteln im Zuge des Verarbeitungsprozesses in hohem Ausmaß entzogen. Darüber hinaus enthalten diese Nahrungsmittel meist höhere Mengen an toxischen Verunreinigungen wie z.B. Mineralöle aus dem maschinellen Verarbeitungsprozess, Weichmachern aus den Verpackungen, Acrylamid durch die starke Erhitzung. Nicht zuletzt für die optimale Beschaffenheit des Endprodukts, wie Aussehen, Konsistenz, Geschmack etc. kommen oftmals eine Vielzahl von Lebensmittelzusatzstoffen zum Einsatz. Der Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Sie locken Verbraucher förmlich an, denn sie sind unkompliziert, schnell zubereitet, kostengünstig und schmecken lecker.
Wie lässt sich der Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln für wissenschaftliche Studien kategorisieren?
Die Einteilung von Lebensmitteln von „unverarbeitet“ bis „hochverarbeitet“ und die wissenschaftliche Validität dieser Zuordnung hat sich tatsächlich als eine größere Herausforderung herausgestellt. Ein mögliches Konzept, das vielen wissenschaftlichen Studien heute als Grundlage dient, ist die sogenannte NOVA-Klassifizierung, die Lebensmittel und Getränke je nach Grad der Verarbeitung in vier Gruppen einteilt (1). Gruppe 1 bis 3 stellen dabei reine Lebensmittel sowie Mischungen und Zubereitungen daraus dar. Dagegen befinden sich in Gruppe 4 hochverarbeitete Nahrungsmittel, die ausschließlich industriell hergestellt werden, meist durch eine Reihe industrieller Prozesse.
Wie wirkt sich eine Ernährung mit hochverarbeiteten Lebensmitteln auf die Hirngesundheit aus?
In einer aktuellen epidemiologischen Studie wurde untersucht, wie sich der Ersatz von hochverarbeiteten Lebensmitteln in der Ernährungsweise durch unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel auf die kognitive Leistung auswirkt (2). An der Studie nahmen 72 083 Erwachsene, alle im Alter von 55 Jahren oder älter, teil, die zu Beginn der Studie nicht an Demenz erkrankt waren. Der Verzehr der hochverarbeiteten Lebensmittel wurde durch Fragebögen erfasst. Die Studienautoren definierten hoch-verarbeitete Lebensmittel auf der Grundlage der zuvor beschriebenen NOVA-Klassifizierung, die Lebensmittel und Getränke je nach Grad der Verarbeitung in vier Gruppen einteilt.
Das Ergebnis war, dass eine Ernährungsweise, die 10% hochverarbeitete Lebensmittel (Lebensmittel der Gruppe 4 nach der NOVA-Klassifikation) enthält, das Risiko für Demenzerkrankungen insgesamt um 25% und das Risiko für vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz um 28% erhöht. Wenn auch nicht signifikant, so wurde auch ein Anstieg der Alzheimer-Risikos um 14% beobachtet.
Auch der umgekehrte Fall wurde getestet: Wurden die hochverarbeiteten Lebensmitteln aus Gruppe 4 durch unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel aus Gruppe 1 ersetzt, wurde das Risiko für Demenz und vaskuläre Demenz sogar gesenkt. Dabei war eine Dosis-Wirkungsbeziehung erkennbar, denn die Risikoreduzierung nahm mit dem Prozentsatz der Substitution proportional zu: so war das Demenzrisiko bei einer 5%igen Substitution um 10 %, bei einer 10%igen Substitution um 19 % und bei einer 20%igen Substitution sogar um 34 % geringer.
Die Ergebnisse dieser Forschergruppe wurden durch weitere Studien bestätigt:
- Erst kürzlich hat ein brasilianisches Team auf der internationalen Konferenz der Alzheimervereinigung eine Studie vorgestellt, an der 8.
- Auch in einer neueren Studie aus Australien mit 3.632 gesunden Teilnehmern im Alter von mindestens 60 Jahren (4), die ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln und deren Auswirkung auf die kognitive Leistung untersuchte, konnte ein signifikanter Effekt erfasst werden. Dieser zeigte sich in einer schlechteren Leistung beim sogenannten Animal Fluency Test. Dies ist ein spezieller Kognitionstest für ältere Erwachsene, der die Sprach- und Exekutivfunktionen einschätzt.
- In einer israelischen Studie (5) wurden 568 Diabetes Typ-2-Patienten, die 65 Jahre und älter waren, nicht aber an Demenz erkrankt waren, untersucht. Hier wurden auch verschiedene Lebensmittelgruppen in ihrer Wirkung auf die kognitive Leistung erfasst. Das Ergebnis dieses Forschung-Projektes war, dass ein höherer Verzehr von hochverarbeiteten Wurstwaren, industriell hergestelltem Brot und hochverarbeiteten Ölen hochsignifikant mit einer schnelleren Abnahme der Exekutiv-Funktionen und der globalen Kognition einherging. Dies verwundert nicht, da Demenz eine generalisierte Erkrankung mit zahlreichen Risikofaktoren in den metabolischen Prozessen darstellt: insbesondere über die Zusammenhänge zwischen der Zuckerstoffwechselstörung Diabetes mellitus und der Alzheimer-Krankheit haben wir bereits in aller Ausführlichkeit berichtet.
Die genannten Studien ergänzen zahlreiche Belege für die schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen, die mit dem Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln verbunden sind, einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Übergewicht, Fettleibigkeit, nicht-alkoholischer Fettleber, Krebs und Gesamtmortalität. Eine Übersichtspublikation berichtet von 37 derartiger Studien, wobei es in jeder dieser mindestens einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Verzehr hoch-verarbeiteter Nahrungsmittel und einer nachteiligen gesundheitlichen Folge gab, von positiven Auswirkungen wird dagegen in keiner der Studien berichtet (6).
Was lässt sich daraus für die Demenzprävention ableiten?
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Umstellung auf einen geringeren Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln und einen höheren Verzehr von weniger verarbeiteten Lebensmitteln dazu beitragen kann, Demenz und vielen anderen Zivilisationserkrankungen vorzubeugen. So können selbst Veränderungen in kleinen Bereichen – der Austausch einiger Lebensmittel – signifikante Effekte auf die Gehirngesundheit haben. Ersetzen Sie beispielsweise täglich die Tüte Chips durch einen Apfel oder Nüsse, und kochen Sie lieber selbst, statt Fertiggerichte zu kaufen. Es bedeutet keinen absoluten Verzicht und keine massiven Einschränkungen der bisherigen Gewohnheiten, wohl aber eine Reduktion und ein bewusstes Entscheiden gegen gewisse Produkte und für die eigene Gesundheit. Angesichts der Tatsache, dass die lebenslangen Ernährungsgewohnheiten vieler Menschen in der Kindheit beginnen, würden sich frühe Veränderungen in der Ernährungsweise in der Demenz- und Krankheitsprävention besonders effektiv auswirken, zumal es immer noch keine wirksame medikamentöse Behandlung für Demenz gibt.
Fazit:
Zahlreiche Studien konzentrierten sich auf den Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und verbesserter kognitiver Funktion bei älteren Erwachsenen, aber nur wenige, wie diese aktuellen Studien, auf die schädlichen Auswirkungen ungesunder Ernährungsmuster. Konkret geht es um hochverarbeitete Lebensmittel, denen die guten Inhaltsstoffe entzogen sind, die aber eine Menge an Zucker, schlechten Fetten und toxischen Faktoren enthalten. Aktuelle Beobachtungsstudien haben nachgewiesen, dass Menschen, die eine Ernährung mit einem definierten Anteil an hoch verarbeiteten Lebensmitteln zu sich nehmen, Kognitionseinbußen erleiden und daher ein deutlich höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Mehr noch: Die Studien werden durch eine Vielzahl von Forschungsdaten ergänzt, die einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr hoch-verarbeiteter Nahrungsmittel und weiteren gesundheitlichen Störungen, z.B. im Herz-Kreislauf-Bereich, beobachtet haben.
Aber die gute Nachricht ist: Sie haben es selbst in der Hand, dies zu ändern und langfristig Ihr eigenes Krankheitsrisiko zu beeinflussen! Also fangen Sie heute noch an: Ersetzen Sie täglich die Tüte Chips durch einen Apfel, und kochen Sie lieber selbst, statt Fertiggerichte zu kaufen. Ihre Hirngesundheit wird es Ihnen danken!
Referenzen:
- Monteiro CA, Cannon G , Levy RB, et al (2019) Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutrition: 22(5), 936–941 doi:10.1017/S1368980018003762
- Li H, Yang H, Zhang Y, et al. Association of ultraprocessed food consumption with risk of dementia: A prospective cohort (2022) Neurology September 06; 99 (10) DOI: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000200871
- Goncalves N, Ferreira NV, Khandpur N, et al. (2022) Consumption of ultra-processed foods and cognitive decline in the ELSA-Brazil study: A prospective study. AAIC Abstract 63301 https://alz.confex.com/alz/2022/meetingapp.cgi/Paper/63301.
- Cardoso BR, Machado P, Steele EM (2022) Association between ultra-processed food consumption and cognitive performance in US older adults: a cross-sectional analysis of the NHANES 2011-2014. Eur J Nutr Jul 1. In Print doi: 10.1007/s00394-022-02911-1.
- Weinstein G, Vered S, Ivancovsky-Wajcman D, Springer RR, et al. (2021) Consumption of ultra-processed food and cognitive decline among older adults with type-2 diabetes. J Gerontol A Biol Sci Med Sci, Mar 19, doi: 10.1093/gerona/glac070.
- Leonie Elizabeth, Machado P, Zinöcker M, Baker P, Lawrence M (2020) Ultra-Processed Foods and Health Outcomes: A Narrative Review. Nutrients 12, 1955; doi:10.3390/nu12071955