Eilmeldung: Möglicher Betrug in der Alzheimer-Forschung stellt die „Amyloid-Plaque-Theorie“ in Frage 

6 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 14. September 2022Von Kategorien: Behandlungsformen, Klinische Studien, Medikamente, Prävention

Die Amyloid-Theorie gilt bis heute als grundlegendes Argument für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit; sie hat den Schwerpunkt der Alzheimer-Forschung bis heute maßgeblich mitbestimmt. Nach dieser Theorie wäre die Bildung von Amyloid-Plaques, d. h. von abnormen Ablagerungen des Amyloid-Beta-Proteins (Aβ) im Gehirn, oft auch als senile Plaques bezeichnet, die direkte Ursache für die Symptome dieser Art von Demenzerkrankung. Diese Annahme geht auf die erste Beschreibung der Krankheit im Jahr 1907 zurück, als Alois Alzheimer bei der Untersuchung des Gehirns seiner berühmten Patientin Auguste Deter nach deren Tod eine große Menge dieser Plaques im Gehirn verteilt fand. Im Jahr 1984 wurde Aβ als Hauptbestandteil der senilen Plaques identifiziert. 

Im Laufe der Zeit zeigten pathologische Studien jedoch, dass auch Gehirne von Personen mit normaler kognitiver Funktion große Mengen an Aβ-Ablagerungen aufwiesen, was die Amyloid-Plaques als alleinige Ursache der Alzheimer-Krankheit in Frage stellte. Eine bekannte Studie in diesem Bereich war die NUN-Studie (1), bei der die Nonnen der Ordensgemeinschaft School Sisters of Notre Dame im höheren Alter beobachtet und nach ihrem Tod auch die Gehirne untersucht wurden. Besonders eine der Nonnen erregte die Aufmerksamkeit der Forscher: 

„Schwester Mary war eine bemerkenswerte Frau, die vor ihrem Tod im Alter von 101 Jahren hohe kognitive Testergebnisse aufwies. Noch bemerkenswerter ist, dass sie diesen hohen Status beibehielt, obwohl sie reichlich neurofibrilläre Knäuel und senile Plaques, die klassischen Läsionen der Alzheimer-Krankheit, aufwies“ – heißt es in der Studie (2). Aus diesem Grund ist Schwester Mary als Goldstandard für die Nonnenstudie bekannt. Die Ergebnisse von den Teilnehmerinnen der Nonnenstudie gaben Aufschluss über die Ätiologie des Alterns und der Alzheimer-Krankheit und zeigten, dass Amyloid-Plaques auch in kognitiv normalen Gehirnen gefunden werden können. In diesem Zusammenhang wurde auch die Möglichkeit einer kognitiven Reserve diskutiert. 

Jedoch gewann die Amyloid-Theorie Anfang der 90er Jahre erneut an Bedeutung, nachdem die Gene entdeckt worden waren, die für die früh einsetzende, vererbte Alzheimer-Krankheit, auch familiäre Alzheimer-Demenz genannt, verantwortlich sind: diese sind direkt an der Produktion des Amyloid-Vorläuferproteins beteiligt. Vielen Wissenschaftlern schien klar zu sein, dass die Anhäufung von Aβ eine Kaskade von Schäden und Funktionsstörungen in den Neuronen auslösen muss, die zur Demenz führen. Aus diesem Grund wurde die Bekämpfung und Beseitigung der Amyloidablagerungen zu den plausibelsten therapeutischen Strategien. 

Im Jahr 2006 wurde in der renommierten Zeitschrift Nature (3) ein wichtiger Artikel veröffentlicht, dessen Erstautor der Neurowissenschaftler Sylvain Lesné von der Universität von Minnesota (USA) ist. Der Artikel unterstützte die Amyloid-Hypothese: Die Autoren entdeckten einen Subtyp von Aβ, der bei Mäusen Demenz auslöste, und schlugen daher vor, dass dies das perfekte Ziel für die Entwicklung neuer Medikamente gegen Alzheimer wäre. Seitdem haben die pharmazeutische Industrie und viele Gesundheitseinrichtungen auf der ganzen Welt etliche Millionen in die Suche nach Medikamenten investiert, die sich auf die Beseitigung des Aβ-Proteins konzentrieren. Diese Studien gipfelten in der Entwicklung von monoklonalen Antikörpern (die gegen Aß gerichtet sind), darunter das umstrittene Aducanumab, das 2021 von der FDA zugelassen wurde, obwohl die Studien über seine Wirksamkeit nicht überzeugend waren und es in hohem Maße fatale Nebenwirkungen auslöste. 

Im August 2021 wurde die einflussreiche Nature-Studie von 2006 allerdings in Frage gestellt, und es wird bis heute wegen Betrugsverdachts ermittelt. Obwohl die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind (so dass wir nicht bestätigen können, dass es sich wirklich um Betrug handelt), gibt es starke Hinweise darauf, dass die veröffentlichten Bilder und Daten manipuliert wurden, was darauf schließen lässt, dass die Ergebnisse von Lesné nichts weiter als eine ausgeklügelte Täuschung sein könnten.  

Wenn man heute auf der Website von Nature den Artikel von Lesné aus dem Jahr 2006 sucht, findet man den folgenden Warnhinweis vom 14. Juli 2022: 

„Anmerkung der Redaktion: Die Redaktion von Nature wurde auf Bedenken bezüglich einiger Zahlen in diesem Artikel aufmerksam gemacht. Nature untersucht diese Bedenken, und eine weitere redaktionelle Antwort wird so bald wie möglich folgen. In der Zwischenzeit wird den Lesern geraten, bei der Verwendung der in diesem Artikel berichteten Ergebnisse Vorsicht walten zu lassen”. 

Die renommierte Fachzeitschrift Science veröffentlichte im vergangenen Monat einen Bericht, der die Einzelheiten der Betrugsuntersuchung enthüllte (4). In dieser Veröffentlichung kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der unmittelbare Schaden dieses Fehlverhaltens nicht nur in der Verschwendung von Mitteln öffentlicher Einrichtungen (wie z.B. dem National Institutes of Health NIH), sondern auch in der Verschwendung von Denkanstößen im Forschungsbereich besteht, da die Ergebnisse der Studie als Ausgangspunkt für weitere Experimente verwendet wurden. 

Eine weitere unmittelbare Auswirkung dieses skandalösen Verhaltens ist das entstehende Misstrauen in die Wissenschaft und ihre Entdeckungen, vor allem in einer Zeit, die durch wachsende Skepsis und zunehmende Angriffe geprägt ist. Es verstärkt auch das Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie und deren Einfluss auf die Forschung.  

Diejenigen, die sich mit den wissenschaftlichen Hintergründen der Alzheimer-Krankheit befassen und keine Verbindung zu den Interessen der pharmazeutischen Industrie haben (wie auch das Projekt „Kompetenz statt Demenz“), haben die Amyloid-Theorie schon seit geraumer Zeit in Frage gestellt. Viele Studien zeigen, dass Aβ-Ablagerungen zum Arsenal der angeborenen Immunität gehören und eine schützende Rolle gegen Toxine und Bedrohungen des zentralen Nervensystems (ZNS) spielen. Es wird sogar angenommen, dass genetische Veränderungen, die zum Auftreten von Varianten in kritischen Genen für die Alzheimer-Demenz führten, für die Evolution und den Fortbestand der menschlichen Spezies in der Vergangenheit nützlich waren: denn die Bedrohung der neurologischen Gesundheit war aufgrund der enormen Belastung durch virale, bakterielle und vor allem parasitäre Infektionen vor vielen Tausend Jahren deutlich größer als heute. Nach dieser Theorie dient die Ablagerung von Amyloid-Proteinen im Gehirn in erster Linie dazu, die Ausbreitung von Eindringlingen zu verhindern und das Leben zu erhalten. 

Auch scheint es aufgrund der Tatsache, dass alle diejenigen Alzheimer-Medikamente, die auf die Verringerung der Amyloid-Ablagerungen abzielen, immer unwahrscheinlicher, dass die Amyloid-Ablagerungen die eigentliche Ursache der Krankheit sind. 

Andererseits zeigen Studien, die sich auf Änderungen der Lebensweise stützen, unbestreitbare Erfolge bei der Erhaltung der kognitiven Fähigkeiten und der Umkehrung leichter Fälle, was die Wirksamkeit von Maßnahmen in den Bereichen Ernährung und Ernährungsgewohnheiten, Kontrolle von Toxinen und Infektionserregern, körperliche Aktivität, intellektuelle/kognitive Stimulation, Stresskontrolle, Schlafoptimierung usw. bestätigt. Diese Maßnahmen, allein oder in Kombination, haben sich als besser erwiesen als die bisher getesteten Medikamente. 

Auch wenn die endgültige Antwort auf die Amyloid-Theorie noch aussteht, scheinen sich die Demenzexperten darüber einig zu sein, dass die Komplexität der Alzheimer-Krankheit einen vielschichtigen, auf den jeweiligen Patienten zugeschnittenen Behandlungsansatz erfordert, wie er von dem Modell der individualisierten und funktionellen Medizin vorgeschlagen wird. Auch ist unbestritten, dass die pathologischen Prozesse im Gehirn schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch der ersten Symptome beginnen, was den Präventionsgedanken umso wichtiger macht. 

Dies steht voll und ganz im Einklang mit der Mission des Projekts „Kompetenz statt Demenz“, das sich zum Ziel gemacht hat, die Prävention und das Verständnis der Alzheimer-Demenz auf greifbare und umsetzbare Weise im Sinne eines multimodalen Ansatzes zu gestalten, zu vermitteln und umzusetzen. 

Schlussfolgerung: 

Eine berühmte Studie, die 2006 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, wird aktuell wegen möglicher Manipulation der Daten untersucht. Sie stellt die Haupttheorie über die Ursache der Alzheimer-Krankheit in Frage: die Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn. Diese Studie stützte die Theorie, dass die Aβ-Ablagerung die Hauptursache für den kognitiven Verfall ist, und hat die millionenschwere Suche nach einem Medikament nach sich gezogen, das die Amyloid-Ablagerungen verhindern oder zerstören kann.  Der Verdacht auf Betrug bei einer Studie, die in einer derart wichtigen Zeitschrift veröffentlicht wurde, schwächt zudem die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft in einer Zeit, in der Skepsis und Zweifel weit verbreitet sind. Andererseits bestätigt sie die immer deutlicher werdenden Hinweise darauf, dass die Ursache der Alzheimer-Krankheit multifaktoriell ist: Es wird kein einzelnes Wundermittel geben, das Abhilfe schaffen kann, vielmehr kann es nur ein Bündel von Maßnahmen sein, die auf einer Änderung des Lebensstils beruhen, die in der Lage sind, die häufigste Form der Demenz zu bekämpfen. 

Schauen Sie dazu gerne hier bei der „Kompetenz statt Demenz“ nach, was Sie heute schon für Ihre Hirngesundheit tun können! 

References: 

  1. Snowdon DA; Nun Study. Healthy aging and dementia: findings from the Nun Study. Ann Intern Med. 2003 Sep 2;139(5 Pt 2):450-4. doi: 10.7326/0003-4819-139-5_part_2-200309021-00014. PMID: 12965975. 
  1. Snowdon DA. Aging and Alzheimer’s disease: lessons from the Nun Study. Gerontologist. 1997 Apr;37(2):150-6. doi: 10.1093/geront/37.2.150. PMID: 9127971. 
  1. Lesné S, Koh MT, Kotilinek L, Kayed R, Glabe CG, Yang A, Gallagher M, Ashe KH. A specific amyloid-beta protein assembly in the brain impairs memory. Nature. 2006 Mar 16;440(7082):352-7. doi: 10.1038/nature04533. PMID: 16541076. 
  1. Piller C. Blots on a field? Science. 2022 Jul 22;377(6604):358-363. doi: 10.1126/science.add9993. Epub 2022 Jul 21. PMID: 35862524. 
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