Galaktose als therapeutische Zuckeralternative bei Alzheimer-Demenz?

5,1 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 23. Juni 2021Von Kategorien: Behandlungsformen, Ernährung, Prävention, Ursachen

Es ist schon recht lange bekannt, dass eine Störung des Blutzucker- und Insulinstoffwechsels nicht nur bei Diabetes eine zentrale Rolle spielt, sondern auch bei der Alzheimer-Krankheit. Wenn das für die Glukoseverwertung wichtige Insulin wegen fehlender oder geschädigter Insulinrezeptoren nicht mehr richtig wirken kann, kommt es zu der sogenannten Insulinresistenz. Das gilt auch für das Gehirn und nennt sich dort zerebrale Insulinresistenz. Tritt diese ein, kann es trotz hoher Glukosespiegel im Blut in unserem Zentralnervensystem zu einem Energie-Mangel kommen. Der resultierende Hungerzustand des Gehirns führt allmählich zum Erliegen seiner spezifischen Funktionen und zum Absterben von Gehirnzellen, was sich besonders auffällig an der Einschränkung des Gedächtnisses zeigt. Daher ist die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des Energiestoffwechsels des Gehirns gerade zu Beginn der Alzheimer-Erkrankung von entscheidender Bedeutung.   

Und genau an diesem Punkt könnte nun das Schwestermolekül der Glukose ins Spiel kommen: die Galaktose.  

Die D-Galaktose, auch Schleimzucker genannt, ist ein Einfachzucker (Monosaccharid), der in Nahrungsmitteln in seiner freien Form kaum vorkommt. In der Regel ist Galaktose an andere (Zucker-)Moleküle gebunden, so bildet sie beispielsweise zusammen mit Glukose (Traubenzucker) das Disaccharid Laktose (Milchzucker). Als Bestandteil der Laktose und komplexeren Oligosacchariden (Zuckerstrukturen aus mehreren Einfachzuckern) ist die D-Galaktose vorwiegend in Milch und Milchprodukten von Säugetieren enthalten. Auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten kommt dieser Zucker gebunden in (meist unverdaulichen) Oligosacchariden vor, wobei es aber durch hydrolytische Prozesse während des Einweichens oder Kochens von Bohnen zur Freisetzung der D-Galaktose und somit zu Gehalten von bis zu 180 mg/100 g Trockengewicht freier D-Galaktose in Bohnenkonserven kommen kann. Die Muttermilch gilt als einzigartig in Bezug auf ihren Zuckergehalt: Sie enthält 55 – 70 g/l Laktose und 5,0 – 8,0 g/l Oligosaccharide. Letztere liegen in über 100 verschiedene Formen vor, mit D-Galaktose als Hauptbestandteil.  

Im menschlichen Organismus kommt D-Galaktose als Baustein von Oligo- und Polysacchariden in verschiedenen Schleimhäuten vor, wovon sich der deutsche Name ableitet. An Proteine und Fette gebunden ist die Galaktose ein wichtiger Baustein von Plasmamembranen, die unsere Zellen schützend umhüllen. Die Galaktose ist als Energiequelle, aber auch als Strukturelement besonders wichtig für die menschliche Entwicklung. 

 

Wie ließe sich nun eine Insulinstörung durch Galaktose umgehen? 

Eine mögliche Anwendung der D-Galaktose könnte in der Behandlung der zerebralen Insulinresistenz bestehen, wenn die zelluläre Energieversorgung durch Glukose wegen der Schädigung des Insulinrezeptors nicht mehr erfolgen kann. Die Energiekrise im Gehirn könnte durch die Aufnahme von D-Galaktose vermieden werden, da die D-Galaktose insulin-unabhängig in die Gehirnzellen gelangen kann.  

Dass dies auch funktioniert, wurde erfolgreich in einem Tiermodell nachgewiesen: Dazu wurden die Tiere experimentell durch chemische Blockade der Insulinrezeptoren in die Insulin-Resistenz versetzt. Die Gehirne werden dann nicht mehr ausreichend mit dem essentiellen Energiesubstrat Glukose versorgt. Es kommt zu neurodegenerativen Veränderungen und die Tiere büßen ihre Gedächtnisleistung messbar ein.  

Umso beeindruckender war die Tatsache, dass die Zugabe von D-Galaktose in das Trinkwasser nicht nur das zelluläre Energiedefizit beheben konnte, sondern auch die kognitiven Leistungen der Versuchstiere sich wesentlich verbesserten. Dagegen fanden Vergleichstiere, die pures Wasser tranken, schon bald den Weg zum Futternapf nicht mehr. Diese Effekte wurden mit dem Ausgleich des Energiemangels im Gehirn erklärt. Darüber hinaus wurde durch D-Galaktose auch die Bildung eines Biomoleküls, dem sogenannten Glukagon-ähnlichem Peptid 1 (GLP-1) stimuliert, das wiederum den zerebralen Insulinspiegel erhöht, aber auch eigene neuroprotektive Effekte im Gehirn hat.  

Etwas verwirrend erscheint nun, dass Galaktose in anderen Experimenten in gesunden Tieren als Modellsubstanz für Alterungsversuche verwendet wird. Hierzu wird den Tieren täglich D-Galaktose in hohen Dosen einige Wochen parenteral, d.h. unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes wie z. B in diesem Fall subkutan, verabreicht. Dies führt zu einer (die natürliche Alterung simulierenden) Neurodegeneration und zu einer gestörten Neurogenese im Hippocampus, was als experimentelles Alterungsmodell verwendet werden kann. 

Wie lassen sich diese widersprüchlichen Ergebnisse der Galaktose-Wirkung im Tierversuch nun erklären? 

  • D-Galaktose bedeutet in der in Alterungsstudien verwendeten Dosis bei gesunden Tieren langfristig eher eine Energielast und hätte somit andere Auswirkungen als bei pathologischen Zuständen wie Alzheimer, bei denen Energiemangel besteht. 
  • Die Stimulation der GLP-1-Sekretion und die damit verbundenen neuroprotektiven Effekte finden zwar nach oraler Aufnahme statt, fehlen jedoch nach parenteraler D-Galaktose-Verabreichung. 
  • Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Galaktose hormetische, d.h. dosis-abhängige Umkehr-Effekte in Bezug auf (neurodegenerativen) oxidativen Stress haben könnte. 

Neben den äußerst vielversprechenden Ergebnissen im Alzheimer-Tiermodell, gibt es inzwischen auch zahlreiche Einzelberichte von Patienten über die positive Wirkung von D-Galaktose. Werner Reutter, der Leiter der Alzheimer-Tierstudie, berichtete „von ersten Versuchen, den ausgehungerten Hirnzellen von Demenz-Patienten ersatzweise D-Galaktose anzubieten. Diese verliefen bei einer ganzen Reihe von Patienten vielversprechend. Orientierung, Erinnerung und die soziale Kommunikation verbesserten sich deutlich“.  

Leider gibt es bis heute keine klinische Studie, die die therapierende Wirkung in AD-Patienten von D-Galaktose wissenschaftlich untersucht hat und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen ausschließt. Es scheinen weder Pharmaindustrie noch Krankenkassen daran interessiert zu sein. Warum nicht? Darüber kann man lediglich Vermutungen anstellen, vielleicht, weil sich mit D-Galaktose nichts verdienen lässt, denn es ist kein Arzneimittel, sondern „nur“ ein Zuckerersatzstoff. D-Galaktose gibt es rezeptfrei und kostengünstig in der Apotheke. 

Die Empfehlung von Werner Reutter:  

Bei nachgewiesener Insulinresistenz reichen dreimal täglich einen Teelöffel reine DGalaktose in Tee, Wasser oder Kaffee aus. Diese Dosis sollte möglichst nicht überschritten werden. Es ist wichtig, Galaktose direkt aufzunehmen, und nicht den Umweg über die puren Milchzucker oder Milch(produkte) zu gehen. Laktose wird im Dünndarm erst in Galaktose und Glukose aufgespalten. Galaktose muss im Blut in höherer Konzentration vorliegen, als durch die Verdauung von milchzuckerhaltigen Nahrungsmitteln freigesetzt wird. Außerdem ist dieser Verdauungsschritt bei rund 10% der erwachsenen Mitteleuropäer gestört, weil sie durch den Mangel an laktose-spaltendem Enzym eine Laktose-Intoleranz haben. 

Es gibt lediglich eine Kontraindikation bei Vorliegen einer angeborenen Stoffwechselstörung der Galaktosämie, bei der die D-Galaktose nicht verstoffwechselt werden kann und sich im Blut anreichert. Diese wird aber schon im Säuglingsalter beim Kinderarzt (ca. 1 von 40.000 Kindern) untersucht. Bei positivem Befund scheidet die Gabe von Galaktose grundsätzlich aus. 

Fazit: 

Eine Störung des Blutglukose- und Insulinstoffwechsels spielt nicht nur bei Diabetes eine zentrale Rolle, sondern auch bei der Alzheimer-Krankheit. Diese zerebrale Insulinresistenz, welche auch als Diabetes Typ 3 bezeichnet wird, führt zur Energiekrise im Gehirn, was nach und nach zum Erliegen der kognitiven Funktionen führt. D-Galaktose, der Schwester-Zucker der Glukose, wird Insulinrezeptor-unabhängig von Nervenzellen aufgenommen. Sie könnte somit eine ernährungsmedizinische Möglichkeit sein, kognitive Leistungen durch Ausgleich des Energiebedarfs unter diesen Mangelbedingungen zu normalisieren. Diese Hypothese konnte im Tiermodell erfolgreich bestätigt werden, eine klinische Studie am dementen Patienten gibt es leider bis dato nicht. Aber es gibt zahlreiche vielversprechende Patientenerfahrungen, bei denen sich nach energie-angepasster D-Galaktose-Einnahme die kognitiven Funktionen verbesserten. Demnach könnte D-Galaktose bei zerebraler Insulinresistenz ein wirksames und kostengünstiges Mittel sein, sich die Hirngesundheit wieder zurückzuholen. 

Referenzen: 

  1. Coelho AL, Berry GT, Rubio-Gozalbo EA (2015): Galactose metabolism and health. Curr Opin Clin Nutr 18(4): 422-427 DOI:10.1097/MCO.0000000000000189 
  2. Van Calcar SC, Bernstein LE, Rohr FJ, Yannicelli S (2014) Galactose Content of Legumes, Caseinates, and Some Hard Cheeses: Implications for Diet Treatment of Classic Galactosemia. Journal of Agricultural and Food Chemistry 62(6) DOI:10.1021/jf404995a 
  3. Salkovic-Petrisic M, Osmanovic-Barilar J, Knezovic A, Hoyer S, Mosetter K, Reutter W (2014) Long-term oral galaktose treatment prevents cognitive deficits in male Wistar rats treated intracerebroventricularly with streptozotocin. Neuropharmacology 77: 68–80. DOI: 10.1016/j.neuropharm.2013.09.002 
  4. Zhang Q, Li X, Cui X, Zuo P (2005): D-galactose injured neurogenesis in the hippocampus of adult mice. Neurol Res 27(5):552-556 doi: 10.1179/016164105X25126 
  5. Salkovic-Petrisic M (2018) Oral Galactose Provides a Different Approach to Incretin-Based Therapy of Alzheimer’s Disease. J Neurol Neuromed 3(4):101-107 DOI:10.29245/2572.942X/2018/4.1204 
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