Hochverarbeitete Lebensmittel und neuronale Gesundheit: Gibt es auch einen Zusammenhang mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose?

6,7 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 22. März 2023Von Kategorien: Ernährung, Multiple Sklerose, Prävention, Ursachen

Kürzlich berichteten wir bei „Kompetenz statt Demenz“ über (ultra)hochverarbeitete Nahrungsmittel (engl: Ultra-processed Food), auch als Fast Food bezeichnet, und die damit verbundene Gefahr für die neuronale Gesundheit: Studien haben gezeigt, dass ein regelmäßiger Verzehr dieser Nahrungsmittel mit einem deutlich erhöhten Risiko verbunden ist, an Demenz zu erkranken [1].

Weiterhin gibt immer mehr Belege dafür, dass die Qualität der Ernährung in engem Zusammenhang mit der Entstehung bzw. Vorbeugung von anderen Krankheiten, auch „Zivilisationskrankheiten“ genannt, steht. So ist der Zusammenhang zwischen dem übermäßigen Verzehr von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln und der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit, Dyslipidämie und Depressionen bereits eindeutig [2]. In einer früheren Studie wurde auch gezeigt, dass eine Erhöhung des Anteils an stark verarbeiteten Lebensmitteln in der Ernährung zu einem Anstieg von Entzündungsmarkern im Blut wie dem C-reaktiven Protein führt [3]. Aus diesem Grund wird argumentiert, dass eine Ernährungsweise, die reich an hochverarbeiteten Lebensmitteln ist, aufgrund ihrer entzündungsfördernden Wirkung ein großes Problem sein könnte.

So hat sich uns die Frage gestellt, ob es in der wissenschaftlichen Literatur auch Hinweise darüber gibt, ob der Verzehr dieser entzündlich wirkenden Lebensmittelgruppe einen Einfluss auf die Entstehung der neurodegenerativen Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (kurz MS) haben könnte, bei der die entzündlich-bedingte Schädigung der Nervenisolierschicht (auch als Demyelinisierung oder Entmarkung bezeichnet) im Vordergrund steht, welche ihrerseits zum Abbau von Nervenfasern und -zellen führt.

Aktuelle Studienlage zum Zusammenhang MS und Ernährung

Der Zusammenhang zwischen der Qualität der Ernährung und der Entwicklung oder dem Fortschreiten der MS ist noch immer ein wenig erforschtes Thema. Obwohl die Zahl der veröffentlichten Studien in den letzten Jahren zugenommen hat, besteht unter den Forschern kein Konsens darüber, was die optimale Ernährung zur Vorbeugung oder Behandlung von Demyelinisierung und Entzündungen des Nervensystems – den Hauptmerkmalen dieser Krankheit – wäre. Epidemiologische Daten deuten jedoch darauf hin, dass Personen, die mehr Kalorien, gesättigte Fette und Zucker zu sich nehmen, ein höheres Risiko haben, demyelinisierende Läsionen und/oder MS zu entwickeln. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2022, die in der renommierten Fachzeitschrift European Journal of Clinical Nutrition veröffentlicht wurde, konnte nun einen Zusammenhang zwischen einem hohen Verzehr von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln und einem höheren Risiko für die Entwicklung von Demyelinisierungsläsionen des zentralen Nervensystems zeigen [4].

Die Autoren untersuchten eine Gruppe von Teilnehmern der Ausimmune Study (Australian Multi-centre Study of Environment and Immune Function) [5] und bewerteten anhand von Fragebögen die Qualität der Ernährung von 282 Personen in den 12 Monaten vor der Diagnose der ersten Myelinschädigung, wobei sie vor allem die Menge der konsumierten ultrahochverarbeiteten Lebensmittel aufzeichneten. Die Ernährung von Patienten, bei denen eine demyelinisierende Schädigung diagnostiziert wurde, wurde mit der Ernährung von Personen ohne derartige Diagnose (Kontrollgruppe) verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass ein höherer Verzehr von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln signifikant mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verbunden war, dass erstmals eine Demyelinisierung im zentralen Nervensystem diagnostiziert wird.

Im Gegensatz zu anderen Studien, die den Schweregrad der Krankheit, d. h. das Fortschreiten der Schädigung der Myelinschicht nach der Diagnose der Krankheit, bewertet haben, ist diese Studie besonders wichtig, weil sie das Risiko der Entwicklung von Läsionen bei Patienten ohne Diagnose bzw. vor der Diagnose bewertet. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Patienten nach Erhalt einer MS-Diagnose ihre Ernährungsgewohnheiten ändern (was die Ergebnisse beeinträchtigen könnte), bietet diese Studie die Möglichkeit, die Bedeutung der Ernährung für die Prävention der initialen demyelinisierende Schädigung zu bestimmen, oder in anderen Worten: Mit diesem Wissen erkennt man die Gefahr, durch Konsum von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln ein höheres Risiko für eine demyelinisierende Krankheit wie MS zu entwickeln.

Weiterhin wird in dieser Studie davon abgeraten, extreme Maßnahmen oder radikale Ernährungsumstellungen durch sog. Crash-Diäten vorzunehmen. Stattdessen wird empfohlen, durch eine relativ einfache Maßnahme das Risiko von Demyelinisierungsschäden zu verringern: durch den Verzicht auf hoch- oder ultrahochverarbeitete Lebensmittel.

Aber was sind ultrahochverarbeitete Lebensmittel überhaupt?

Bei ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln handelt es sich um solche, die viele Verarbeitungsstufen durchlaufen, einschließlich der Zugabe von chemischen Zutaten, die üblicherweise nicht in der Küche verwendet werden (wie Maissirup mit hohem Fruktosegehalt, gehärtete Öle, künstliche Aromen und hydrolysierte Proteine); sie haben in der Regel eine hohe Energiedichte und sind nährstoffarm. Die Verfahren und Zutaten, die bei der Herstellung von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln verwendet werden, sind so konzipiert, dass sie äußerst kosteneffizient (kostengünstige Zutaten, lange Haltbarkeit, hervorgehobenes Branding), bequem (verzehrfertig) und äußerst schmackhaft (stimuliert die Geschmacksnerven) sind.

Beispiele für ultra-verarbeitete Lebensmittel sind: verpackte Snacks, Süßwaren, Backwaren, Massenbrot, viele Frühstückscerealien, Fertiggerichte, Margarine, verarbeitetes Fleisch usw.

Die in wissenschaftlichen Studien am häufigsten verwendete Klassifizierung zur Bestimmung des Verarbeitungsgrads von Lebensmitteln ist die NOVA-Klassifizierung [6], die Lebensmittel in die Kategorien unverarbeitet/minimal verarbeitet, verarbeitet und ultrahochverarbeitet einteilt. Die australische Studie hat gezeigt, dass die Gefahr im übermäßigen Verzehr dieser letzten Kategorie von Lebensmitteln liegt.

Warum sind ultrahochverarbeitete Lebensmittel schlecht für die Gesundheit Ihres Gehirns?

Es gibt einige Gründe, die die Wirkung von ultraverarbeiteten Lebensmitteln in unserem Körper erklären und warum diese Lebensmittelklasse so gefährlich ist:

  • Ultrahochverarbeitete Lebensmittel enthalten große Mengen an ungünstigen Nährstoffen, wie freiem oder zugesetztem Zucker, schlechten und zu viel Fetten und wenig Ballaststoffen, bei einer hohen Energiedichte. Diese Eigenschaften können die negativen Auswirkungen dieser Produkte auf kardiovaskuläre und kardiometabolische Risikofaktoren sowie auf das Risiko von Übergewicht/Adipositas erklären.
  • Sie enthalten eine große Anzahl von schädlichen Verbindungen, die bei der Lebensmittelverarbeitung entstehen, wie z. B. Acrylamid und Acrolein. Obwohl diese Verbindungen auch bei der Zubereitung von Lebensmitteln zu Hause gebildet werden (z. B. durch hohe Temperaturen beim Kochen), sind sie in ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln in größeren Mengen vorhanden. Sowohl Acrylamid als auch Acrolein werden mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht und sind stark entzündungsfördernd.
  • Auch können hormonell aktive Stoffe wie Bisphenole in den Verpackungen von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln enthalten sein. Obwohl Bisphenol A in vielen Ländern für die Verwendung in Lebensmittelverpackungen verboten ist, wurde es inzwischen durch andere Komponenten wie Bisphenol S ersetzt, das ebenfalls endokrin wirksam ist und im Verdacht steht, oral noch effektiver aufgenommen zu werden als Bisphenol A. Diese Produkte können hormonelle Veränderungen verursachen, die zu Fettleibigkeit und Entzündungen führen.
  • Da diese Zubereitungen sehr schmackhaft sind, führen sie zu einem verzögerten Sättigungssignal, was zu einer höheren Gesamtnahrungsaufnahme führen kann, die Fettansammlungen, Fettleibigkeit und Entzündungen verursacht.
  • Sie können das Darmmikrobiom so verändern, dass es gestört wird, was zu einer Dysbiose führt und die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen auslösen kann, die wiederum zu Neuroinflammation und Neurodegeneration beitragen können.
  • Sie sind reich an gesättigten Fettsäuren und Transfettsäuren, die ein Entzündungspotenzial haben und oxidativen Stress verursachen, und gleichzeitig arm an entzündungshemmenden Fetten wie Omega-3-Fettsäuren.
  • Durch die Zunahme des Verzehrs ultrahochverarbeiteter Lebensmittel sinkt gleichzeitig der Verzehr natürlicher oder minimal verarbeiteter Lebensmittel, die ausreichende Mengen an Makronährstoffen liefern und Quellen von Vitaminen und Mineralien sind, die sowohl für das Funktionieren des Immunsystems als auch des Nervensystems wichtig sind.

Fazit

Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Multipler Sklerose wurde in einigen epidemiologischen Studien nachgewiesen. Obwohl keine bestimmte Art der Ernährung nachweislich das Fortschreiten der Krankheit in jedem Fall verhindert oder verlangsamt, gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass eine Ernährung, die reich an ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln ist, mit der Entwicklung von Entzündungskrankheiten in Verbindung gebracht werden kann. Eine neue Studie aus Australien hat gezeigt, dass eine höhere Aufnahme von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der ersten klinischen Diagnose einer Demyelinisierung verbunden war.

Die Studie hat klar gezeigt, dass Crash-Diäten zur Prävention von MS nicht notwendig sind. Solche Ernährungsweisen sind meist sehr restriktiv, da sie auf einer sehr reduzierten und einseitigen Ernährung bis hin zum kompletten Ersetzen der Nahrung durch irgendwelche Shakes oder Supplements basieren. Viel sinnvoller, so die Autoren der Studie, sei es, die Klasse dieser hochverarbeiteten, entzündungsfördernden Nahrungsmittel zu erkennen und – entweder ganz oder weitgehend – zu vermeiden, um das Risiko von demyelinisierenden Läsionen und Multipler Sklerose zu senken.

Auch wenn es in der genannten Studie [4] um Multiple Sklerose ging, sind die Erkenntnisse auch für andere neurologische Erkrankungen wichtig. Auch die Multiple Sklerose hat einen signifikanten neurodegenerativen Anteil, während die Demenz vornehmlich neurodegenerativ ist. Insofern ist der Verzicht auf ultrahochverarbeitete Lebensmittel mit Blick auf Alzheimer und Demenz mindestens genauso wichtig, wie aktuelle Studien zeigen.

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Referenzen:

  1. Li H, Yang H, Zhang Y, et al. Association of ultraprocessed food consumption with risk of dementia: A prospective cohort (2022) Neurology September 06; 99 (10)
  2. Pagliai G, Dinu M, Madarena MP, Bonaccio M, Iacoviello L, Sofi F. Consumption of ultra-processed foods and health status: a systematic review and meta-analysis. Br J Nutr. 2021 Feb 14;125(3):308-318. doi: 10.1017/S0007114520002688. Epub 2020 Aug 14. PMID: 32792031; PMCID: PMC7844609
  3. Lane MM, Lotfaliany M, Forbes M, Loughman A, Rocks T, O’Neil A, Machado P, Jacka FN, Hodge A, Marx W. Higher Ultra-Processed Food Consumption Is Associated with Greater High-Sensitivity C-Reactive Protein Concentration in Adults: Cross-Sectional Results from the Melbourne Collaborative Cohort Study. Nutrients. 2022 Aug 12;14(16):3309. doi: 10.3390/nu14163309. PMID: 36014818; PMCID: PMC9415636.
  4. ↑1 ↑2 Mannino A, Daly A, Dunlop E, Probst Y, Ponsonby AL, van der Mei IAF; Ausimmune Investigator Group; Black LJ. Higher consumption of ultra-processed foods and increased likelihood of central nervous system demyelination in a case-control study of Australian adults. Eur J Clin Nutr. 2023 Feb 8. doi: 10.1038/s41430-023-01271-1. Epub ahead of print. PMID: 36754977.
  5. https://www.msaustralia.org.au/ausimmune/
  6. Monteiro CA, Cannon G, Levy RB, Moubarac JC, Louzada ML, Rauber F, Khandpur N, Cediel G, Neri D, Martinez-Steele E, Baraldi LG, Jaime PC. Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutr. 2019 Apr;22(5):936-941. doi: 10.1017/S1368980018003762. Epub 2019 Feb 12. PMID: 30744710.

Bildquelle:

Foto von Leon Ephraïm auf Unsplash

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