Aktuelle Pilot-Studie zeigt: Ketogene Ernährung vermindert Alzheimersymptome im Frühstadium

6 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 28. Oktober 2021Von Kategorien: Behandlungsformen, Ernährung, Prävention

Kürzlich berichteten wir darüber, dass die Insulinresistenz eine wichtige Ursache für die Alzheimer-Erkrankung darstellt. Durch die Störung des Glukosestoffwechsels kann ein Energiemangel und damit eine Unterversorgung im Gehirn entstehen. Dies wird in Fachkreisen auch als zerebrale Insulinresistenz oder Diabetes Typ 3 bezeichnet. Der Einfachzucker Glukose kann in diesem Zustand nur noch unzureichend vom Gehirn als Energieträger genutzt werden. Das ist insofern umso erstaunlicher, da das Blut von insulinresistenten Patienten von Zucker überflutet ist, dieser aber dennoch nicht in die Gehirnzellen gelangt.

Aber die gute Nachricht ist: Das insulinresistente Gehirn ist in der Lage, andere Energiequellen, statt der Glukose zu nutzen. Zu diesen alternativen Brennstoffen gehören neben dem Einfachzucker Galaktose auch die sogenannten Keto(n)körper oder kurz Ketone.

Die Ketose als alternatives Versorgungsprogramm des Körpers

Die Ketone werden in der Leber aus Fetten, genauer gesagt aus Fettsäuren, gebildet. Ihre Produktion setzt ein, wenn dem Organismus keine Glukose als Brennstoff zur Verfügung steht. Dies ist im Hungerstoffwechsel (z.B. während Fastenperioden oder niedriger Kohlenhydratzufuhr) der Fall. Der Körper befindet sich jetzt in der physiologischen Ketose, einem alternativem Versorgungsprogramm des Körpers, um ihn in Zeiten der Kohlenhydratknappheit energetisch zu versorgen. Diese ist aber nicht zu verwechseln mit der lebensgefährlichen Ketoazidose, einem Zustand, der nur bei absolutem Insulinmangel auftritt, wie z.B. bei Diabetes Typ-1.

Das Prinzip der physiologischen Ketose macht sich auch die ketogene Ernährungsform zu Nutze: hierbei wird der Verzehr von Kohlenhydraten sehr stark reduziert (20 bis max. 50 g/Tag) und im Gegenzug der Fettkonsum deutlich erhöht, sodass der Körper in die Ketose kommt und die Leber auf Fettverbrennung umschaltet. Dann werden Ketone als alternative Energiequelle zur Glukose produziert.

Therapeutisches Potential der Ketose

Interessanterweise ist das Gehirn von Alzheimer-Patienten trotz seiner pathologischen Störung der Glukoseverwertung weiterhin in der Lage, Ketone uneingeschränkt als Energiequelle zu verwerten (1). Daraus ist die Idee erwachsen, die Ketone bei diesen Patienten zu einer Wiederherstellung der Energieversorgung im Gehirn zu nutzen und somit den Energiemangel als ursächlichen Faktor der Alzheimer Demenz zu eliminieren.

Bislang gibt es allerdings nur wenige Studien über die Wirkung von ketogenen Ernährungsformen bei Alzheimer-Patienten:

  • So untersuchte eine Studie im Jahr 2017 die Auswirkungen einer 12-wöchigen ketogenen Diät bei 15 Alzheimer-Patienten (2). Bei den 11 Teilnehmern verbesserten sich zwar die kognitiven Werte, aber da es keine Kontrollgruppe gab, kann die Wirkung nicht ausschließlich bzw. eindeutig auf die Ketonverwertung zurückgeführt werden.
  • Eine neuere Studie aus dem Jahr 2019 lieferte vorläufige Daten über die Auswirkungen einer 12-wöchigen modifizierten Atkins-Diät (= bestimmte Form der ketogenen Ernährung) im Vergleich zu einer von Ernährungsgesellschaften empfohlenen Diät bei 14 Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Alzheimer (3). Bei den Patienten, die sich am besten an die Ernährungsvorgaben hielten, verbesserte sich die Gedächtnisfunktion.

Vor dem Hintergrund dieser „dünnen“ Datenlage wurde kürzlich erstmalig eine randomisierte Crossover-Studie durchgeführt (4). Die Forschungsgruppe wollte herauszufinden, welchen Einfluss eine definierte ketogene Ernährungsweise (fettreich und stark kohlenhydratreduziert) auf die Alzheimersymptomatik, auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und auf die Lebensqualität der Alzheimer-Patienten hatte, und auch, wie gut sie vertragen wurde. Die Ergebnisse wurden in diesem Jahr veröffentlicht.

Das Studiendesign

Dazu wurden 26 Patienten mit klinisch bestätigter Alzheimer-Diagnose im frühen Stadium nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine davon erhielt 12 Wochen lang eine modifizierte ketogene Diät, während sich die zweite Gruppe in dieser Zeit fettarm gemäß den neuseeländischen Richtlinien für gesunde Ernährung ernährte. Der ketogene Ernährungsplan sah mit durchschnittlich 58 % Fett (davon 26 % gesättigt und 32 % ungesättigt), 29 % Eiweiß, 7 % Ballaststoffen und 6 % Kohlenhydraten ein kohlenhydratarmes, fettreiches Makronährstoffverhältnis vor. Die Hauptbestandteile der Ernährung waren grünes Gemüse, Fleisch, Eier, Nüsse, Samen, Aufstriche und natürliche Öle. Das nicht-ketogene Ernährungsprotokoll enthielt fettarme Rezepte mit einem durchschnittlichen Verhältnis von 11 % Fett (davon 3 % gesättigt und 8 % ungesättigt), 19 % Eiweiß, 8 % Ballaststoffen und 62 % Kohlenhydraten. Die Zutaten waren hauptsächlich grünes Gemüse und Wurzelgemüse, Fleisch, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und Obst.

Nach einer 10-wöchigen Pause wurden die Gruppen gewechselt und nun erhielt die erste Patientengruppe die fettarme und die 2. Gruppe 12 Wochen lang die ketogene Ernährung. Aufgrund dieser Überkreuzung des Studiendesigns nennt man Studien dieser Art auch „Crossover“-Studien.

Vor und nach den 12-wöchingen Testphasen wurden die kognitiven Funktionen, die Exekutivfunktionen (die Fähigkeit, alltägliche Handlungen auszuführen) und die Lebensqualität der Patienten entweder durch validierte Testverfahren oder Fragebögen untersucht und ausgewertet. Weiterhin wurden auch Veränderungen der kardiovaskulären Risikofaktoren und unerwünschte Wirkungen der Ernährungsformen erfasst. Die ketogen-ernährten Patienten befanden sich auch alle in der Ketose, was durch die Analyse von Ketonen im Blut der Patienten kontinuierlich überwacht wurde.

Das Ergebnis der Studie

Trotz der Kürze der Zeit verbesserte die ketogene Ernährungsweise, die Exekutivfunktionen, und erhöhte auch die Lebensqualität signifikant, zwei Faktoren, die für Menschen mit Demenz von großer Bedeutung sind. Auch die Kognition verbesserte sich bei Patienten, die die ketogene Diät einhielten, wenn auch nicht statistisch signifikant. Da diese Parameter im direkten Vergleich zu einer (von Ernährungsgesellschaften empfohlenen) kohlenhydratreichen, fettarmen Diät untersucht wurden, und dazu noch an beiden Patientengruppen im Crossover-Design getestet wurden, können die beobachteten positiven Effekte auf die Alzheimersymptomatik direkt auf die ketogene Ernährung zurückgeführt werden. Die Veränderungen bei den kardiovaskulären Risikofaktoren waren in den Ketose-Gruppen unauffällig, auch traten keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen auf. Als besonders erfreulich erwähnten die Autoren die Tatsache, dass die Umstellung auf die ketogene Ernährung in beiden Gruppen problemlos verlief und sehr gut akzeptiert, vertragen und eingehalten wurde. Nur ein einziger Abbruch wurde auf die Ernährungsumstellung zurückgeführt.

Da diese Studie allerdings nur eine kleine Patientengruppe in recht kurzen Testphasen umfasste, sind größere und längere Studien erforderlich, um die beobachteten Effekte zu bestätigen.

Unabhängig davon ist diese vielversprechende Pilotstudie bereits jetzt schon wegweisend für viele Betroffene und ihre Angehörigen: Ketogene Diäten könnten praktikable und wirksame, und vor allem auch nebenwirkungsfreie Präventions- und Behandlungsstrategien bei Alzheimer sein und stellen somit eine weitere wichtige Waffe im Kampf gegen diese unerbittliche Krankheit dar.

Für mehr Hintergrundinformationen zu diesem spannenden Thema schauen Sie bitte auch hier bei „Kompetenz statt Demenz“.

Fazit:

Der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Alzheimer Demenz gilt mittlerweile als gesichert. Das geschädigte Gehirn von insulinresistenten Alzheimer-Patienten steckt, trotz der Zuckerflut im Körper, in einer Energiekrise, wäre aber uneingeschränkt in der Lage, alternative Brennstoffe wie z.B. Ketone als Energiequelle zu nutzen. Die Leber bildet Ketone aus Fetten, sobald dem Körper die Glukose entzogen wird. Dieser als Ketose bezeichnete Zustand geschieht physiologisch im Hungerstoffwechsel, aber auch durch die ketogene Ernährungsweise. Daraus erwuchs die Idee, dass die Ketose einen großen therapeutischen Nutzen bei Alzheimer-Patienten haben könnte.

In diesem Jahr wurden die Ergebnisse einer ersten randomisierten Studie veröffentlicht, die die Wirkung einer Keton-bildenden Ernährungsweise bei Patienten mit Diagnose von Alzheimer im Frühstadium untersuchte. Die Ergebnisse sind vielversprechend:  Bereits nach einer 12-wöchigen ketogenen Ernährungsweise verbesserten sich im direkten Vergleich zu einer üblichen fettarmen Diät klassische Symptome der Alzheimer-Pathologie, wie Exekutivfunktionen, kognitive Leistung und die Lebensqualität. Eine fettreiche und kohlenhydratreduzierte Ernährung könnte daher eine wirksame, praktikable und vor allem auch nebenwirkungsfreie Präventions- und Behandlungsstrategie bei Alzheimer darstellen. Somit birgt dieser Ansatz große Hoffnung für Alzheimer-Patienten und ihre Familien, aber auch für Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko, im Kampf gegen diese schreckliche Krankheit.

 Daher unser Tipp an Sie: Reduzieren Sie noch heute Ihren übermäßigen Zucker- und Süßigkeiten-Konsum, verzichten Sie auf stark gesüßte Getränke, vermeiden Sie exzessiven Verzehr stärkehaltiger (stark verarbeiteter) Lebensmittel in Form von Weißmehl, Pasta, Pommes und Co. und integrieren Sie sinnvoll Kokosöl oder MCT-Öle in Ihren Ernährungsplan – es lohnt sich, nicht nur für Ihre Hirngesundheit!


 Referenzen:

  1. Castellano C, Nugent S, Paquet N, Tremblay S, Bocti C, Lacombe G, et al. (2015) Lower brain 18F-fluorodeoxyglucose uptake but normal 11C-acetoacetate metabolism in mild Alzheimer’s disease dementia. J Alzheimers Dis.43: 1343–53.
  2. Taylor MK, Sullivan DK, Mahnken JD, Burns JM, Swerdlow RH. (2017) Feasibility and efficacy data from a ketogenic diet intervention in Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement (N Y)4: 28–36.
  3. Brandt J, Buchholz A, Henry-Barron B, Vizthum D, Avramopoulos D, Cervenka M. (2019) Preliminary report on the feasibility and efficacy of the modified Atkins diet for treatment of mild cognitive impairment and early Alzheimer’s disease. J Alzheimers Dis. 68: 969–81.
  4. Matthew C. L. Phillips, Laura M. Deprez, Grace M. N. Mortimer, Deborah K. J. Murtagh, Stacey McCoy, Ruth Mylchreest, Linda J. Gilbertson, Karen M. Clark, Patricia V. Simpson, Eileen J. McManus, Jee-Eun Oh, Satish Yadavaraj, Vanessa M. King, Avinesh Pillai, Beatriz Romero-Ferrando, Martijn Brinkhuis, Bronwyn M. Copeland, Shah Samad, Shenyang Liao & Jan A. C. Schepel (2021) Randomized crossover trial of a modified ketogenic diet in Alzheimer’s disease. Alzheimer’s Research & Therapy 13: 51. doi: 1186/s13195-021-00783-x
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